Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Johanna Falckner - kultur 127 - Juni 2016

Johanna Falckner
Foto: Thilo Beu
Johanna Falckner
Foto: Thilo Beu

Lotte, Natalja, Frieda und ein weiblicher Mephisto

In sechs Neuproduktionen des Schauspiels steht sie in dieser Spielzeit auf der Bühne. Hinzu kommen noch zahlreiche Wiederaufnahmen aus den vergangenen Jahren. „Da kommt man schon an seine Grenzen, aber ich liebe meine Arbeit – meistens zumindest“, gesteht Johanna Falckner, die vor unserem Gespräch in Beuel geprobt hat für die letzte Premiere vor der Sommerpause: Kafkas Schloss, inszeniert von Hausregisseurin Mirja Biel (s. Seite 8). Falckner verkörpert das Dorfmädchen Frieda, das mit der zentralen Figur des Landvermessers K. ein undurchschaubares Spiel treibt. „Ich hätte kaum gedacht, dass die Arbeit an diesem Werk noch einmal einen solchen Energieschub bei mir auslöst. Ich bin sehr begeistert von Kafkas Sprache und seiner merkwürdig gebrochenen Erzählweise. Mirja hat eine besondere Ästhetik, die der rätselhaften Geschichte neue Perspektiven eröffnet.“
Auf Neues möchte Johanna Falckner sich immer gern einlassen: „Stillstand ist schrecklich. Theater darf niemals museal werden.“ Als Ensemblesprecherin mischt sie sich deshalb auch gern ein in die politischen Debatten um das Stadttheater. Den Verlust der Spielstätte Halle Beuel bedauert sie sehr, möchte sich aber auf die Kammerspiele als Hauptspielstätte konzentrieren. „Dass es dort keine Kantine mehr gibt und keinen wirklich kommunikativen Treffpunkt für die Künstler und das Publikum, ist ein großes Manko. Dass wir in Bad Godesberg mehr Vorstellungen spielen, stärkt indes unsere Präsenz, was sich glücklicherweise auch bei den Zuschauerzahlen und der Akzeptanz unserer Leistung bemerkbar macht. Ich habe den Eindruck, dass wir hier inzwischen angekommen sind. So etwas braucht immer eine Weile und viel Offenheit von allen Seiten. Der massive Spardruck hat uns den Start nicht gerade leicht gemacht und beschäftigt uns weiterhin.“
Auch weil sie die Bonner Kollegen, von denen sie viele schon vorher kannte, sehr mag („Wir sind mittlerweile zu einem tollen Ensemble zusammengewachsen“), hat die 1982 in Ostberlin geborene Schauspielerin sich entschlossen, weiter hier zu arbeiten und geht damit zum ersten Mal in die vierte Spielzeit an einem Ort. Nur ganz am Rand hat das etwas damit zu tun, dass die kleine Johanna tatsächlich hier das Laufen lernte. Ihre Familie zog 1984 in den Westen und lebte ein halbes Jahr bei ihrem Patenonkel in Bonn. Bevor es sie zurückzog nach Berlin, wo Falckner immer noch eine Wohnung hat und in ihrer knappen Freizeit gern lebt. Eingeschult wurde sie in Italien – „Ich hatte als Einzige eine Schultüte und musste die Bonbons mit allen anderen Kindern teilen.“ Ihre Mutter liebte nämlich das mediterrane Licht.
Generell ist ihre Familie künstlerisch geprägt. Ein Großonkel väterlicherseits war der Schauspieler Otto Gebühr, berühmt geworden durch seine Verkörperung des Preußenkönigs Friedrich der Große in diversen Filmen. Ihr Großvater mütterlicherseits war der Schauspieler Siegfried Seibt, der in der DDR-Fernsehserie Spuk unterm Riesenrad als freches Rumpelstilzchen alle Kinder begeisterte. Die schrullige Hexe an seiner Seite spielte Katja Paryla, die später am Nationaltheater Weimar die wichtigste Lehrerin der jungen Johanna wurde.
Gern Theater gespielt hatte Falckner, zu deren Verwandtschaft ansonsten etliche Musiker und Theologen gehören, schon als Kind. Ohne ihrer Familie etwas zu verraten, bewarb sie sich mit fünfzehn Jahren an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn-Bartholdy“ in Leipzig und bestand auf Anhieb die Aufnahmeprüfung. „Ich hab erst mal fürchterlich geheult, weil ich aus Berlin gar nicht wegwollte, sondern nur trotzig mein Können beweisen.“ Sie verließ dennoch nach der 10. Klasse das Gymnasium, um Schauspiel zu studieren. Zu ihren Kommilitonen an der Leipziger Hochschule gehörte übrigens Sören Wunderlich, der jetzt ihr Kollege in Bonn ist.
2003 schloss sie ihre Ausbildung mit einem Diplom ab. Noch als Studentin spielte sie am Nationaltheater Weimar, wo sie u.a. gleich die Cordelia in Shakespeares Lear (Regie: Alexander Lang) spielen durfte. 2004 wechselte sie ans Theaterhaus Jena, eins der damals experimentierfreudigsten Häuser in Deutschland. Regieassistentin dort war Alice Buddeberg, mit der sie seitdem eine intensive private und berufliche Freundschaft verbindet. Von 2005 bis 2007 folgte ein festes Engagement am Theater Aachen. Zu ihren großen Rollen dort gehörten die Blanche in Endstation Sehnsucht (Regie: Ludger Engels) und die Nathalie in Prinz von Homburg. Danach wollte sie frei arbeiten, gastierte an diversen Theatern von Basel bis Bremen und hatte zahlreiche Auftritte in TV-Serien und Spielfilmen. Kürzlich war sie in der ZDF-Produktion Nur nicht aufregen! zu sehen.
„Als freischaffende Künstlerin muss man sehr viel Arbeit in die Selbstvermarktung investieren. Das birgt Vor- und Nachteile, aber man verliert manchmal die wesentliche Arbeit aus den Augen. Zeitweise braucht man auch Abstand vom täglichen Betrieb, damit man das Theater nicht für die einzig mögliche Existenzform hält“. Fast anderthalb Jahre widmete sie sich vorwiegend dem Tanz (Spezialität: argentinischer Tango) und der klassischen Musik. „Die Musik mit ihrer unmittelbaren Emotionalität halte ich sowieso für das stärkste darstellende Medium.“ 2009 wirkte sie mit bei der aufsehenerregenden Novoflot-Produktion von Bachs Weih­nachtsoratorium im berühmten Berliner Kreativzentrum Radialsystem V. Die Fachzeitschrift „Opernwelt“ nominierte die urbane Interpretation sogar zur Uraufführung des Jahres.
2008 spielte Falckner in Buddebergs Diplominszenierung von Tschechows Möwe auf Kampnagel die Mascha, 2011 am Schauspielhaus Hamburg in Buddebergs Regie im selben Stück die Nina und ist jetzt die raffinierte Natalja in Drei Schwestern (Regie: Martin Nimz). Mit dem neuen Bonner Ensemble stellte sie sich 2013 in den Kammerspielen vor in Buddebergs Inszenierung von Döblins Karl und Rosa. Sie glänzte hier in den letzten drei Jahren u.a. als Brunhild in Hebbels Nibelungen, als weibliche Mephisto-Figur in Goethes Faust I, als Intrigenopfer Tourvel in Gefährliche Liebschaften und in der Werkstatt als durchgeknalltes TV-Sternchen Jola in Juli Zehs Nullzeit. Die Rollen der Lena in Büchners Leonce und Lena und der Lotte in Goethes Werther (beides in der Regie von Mirja Biel) hat sie nur übernommen und nicht selbst entwickelt. Obwohl in all ihren Bühnenfiguren immer eine ganz eigenständige Intelligenz steckt, die im Bewusstsein der Zuschauer Spuren hinterlässt.
Johanna Falckner bleibt gern auf Distanz, untersucht die Welt als neugierig Reisende mit nüchterner Leidenschaft und mag das kulturell wache Bonn. „Die Stadt ist nicht so schnelllebig wie Berlin und erscheint immer noch ein wenig beleidigt, aber sie hat einen merkwürdigen Charme aus solider Tradition mit schön möblierter Wohnkultur – ich liebe übrigens Antiquitäten und bin ein Bauhausfan – Super-Museen und moderne Kunstausstellungen. Gerade in Bad Godesberg begegnet einem jedoch auch eine brutale Realität, die wir als Stadttheater wahrnehmen und mit unseren bescheidenen künstlerischen Mitteln untersuchen müssen.“ Die sportlich schlanke blonde Schauspielerin mit den dunkelbraun funkelnden Augen schwingt sich auf ihr Fahrrad, weil sie mit ihrer geistigen Beweglichkeit noch viel auf den Weg bringen will.

Donnerstag, 13.10.2016

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