Der Vorname - Contra-Kreis-Theater - kultur 127 - Juni 2016

Der Vorname
Foto: Contra-Kreis-Theater
Der Vorname
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Herrlich böse Gesellschaftssatire


Mia und Ben waren laut amtlicher Statistik die beliebtesten Vornamen für 2015 in Deutschland geborene Kinder. Die Gesellschaft für deutsche Sprache nennt dagegen Sophie und Maximilian. Man kann seine Sprösslinge auch Adonas und Athena nennen wie das bildungsbürgerliche Pariser Ehepaar Garaud. Gucci oder Hermès sind erlaubt. Nur eins geht gar nicht: Adolphe. Den romantischen Helden des Romans von Benjamin Constant kennt zwar niemand (in Deutschland sowieso nicht). Aber Pierre wittert schon beim Ultraschall-Bild des ungeborenen Babys seines Schwagers Vincent das Unheil in Form eines zum Adolf-Gruß gereckten Ärmchens.
Eigentlich sollte es nur ein gemütlicher Familienabend mit marokkanischem Essen werden. In der bissigen Komödie Der Vorname des französischen Autorenduos Matthieu Delaporte und Alexandre de la Platellière wird daraus ein verbaler Schlagabtausch, der den Vergleich mit Yasmina Rezas Gott des Gemetzels nicht zu scheuen braucht. Das mittlerweile auch verfilmte Stück ist ein unverschämter Kommentar zur Toleranz-Hysterie, die mit gepflegter Mainstream-Liberalität zuschlägt und alles in die rechte Ecke verbannt, was nicht ihrem Weltbild entspricht.
Vor allem ist es jedoch eine brillante Komödie, die René Heinersdorff mit einem fabelhaften Schauspieler-Quintett nun mit viel Tempo und Spielwitz im Contra-Kreis auf die Bühne gebracht hat. Nachdem der smarte Immobilienhai Vincent – tatsächlich nur aus Jux, den romantischen Helden aus Benjamin Constants Roman Adolphe – seine Namensidee in den stilvollen Salon (Bühne: Tom Grasshof) posaunt hat, kocht die Galle hoch. Alte Wunden werden messerscharf aufgerissen, Lebenslügen schonungslos entlarvt. Werner Tritzschler karikiert perfekt den feinsinnigen linksintellektuellen Literaturprofessor Pierre im existenzialistisch schwarzen Outfit (Kostüme: Andrea Gravemann), der seine üble Macho-Haltung gar nicht wahrnimmt. Anja Kruse als seine tapfere Gattin Elisabeth (von allen zärtlich „Boubou“ genannt) saust zwischen Küche und Kinderzimmer herum, bis sie dem sanft ergrauten Patriarchen ihre ganze Frustration aufs Butterbrot schmiert. Pascal Breuer ist Elisabeths charmanter Bruder Vincent, geschäftlich auf der Sonnenseite, geistig eher robust. Wie der an die schöne, junge Anna Caravati geraten ist, mag der Himmel wissen. Janina Isabell Batoly ist im eleganten grünen Schwangerschaftskleid das Gegenteil eines Herdheimchens und auch sonst nicht auf den Mund gefallen.
Ein Mann zum Verlieben ist Sebastian Goder als langjähriger Hausfreund Claude, Posaunist im Rundfunkorchester, musikalisch sensibel und nicht ganz grundlos auf der Flucht nach Marseille. „Schwuppe“ hat der spitzzüngige, furchtbar tolerante Familienclan den Typen genannt. Dass dabei Elisabeths und Vincents Mama Françoise per Handy aus ihrer Villa an der Côte d’Azur als Dea ex Machina noch ein Wörtchen mitzureden hat, dürfen wir verraten. Das Baby wird also ­garantiert weder Rolex noch Mercedes heißen.
Begeisterter Premierenbeifall für eine hochintelligent unterhaltende Aufführung. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Std. inkl. einer Pause
die Weiteren Termine:
täglich ausser montags bis zum 10.07.16

Donnerstag, 06.10.2016

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