Flüchtlingsgespräche - Euro Theater Central - kultur 124 - April 2016

Flüchtlingsgespräche
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de
Flüchtlingsgespräche
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de

Warten auf ein Leben



Sie hocken im Niemandsland. Was nicht mehr in ihre alten Koffer passte, tragen sie am Leib. Ein Mann und eine Frau, leicht verwirrt vor einem Airport-bunten Prospekt (Bühnenbild: Harald Michelis), eine Weile lang stumm auf ihre Habseligkeiten bedacht. Willkommen in Absurdistan! Das vertrocknete Bäumchen aus Warten auf Godot hat der Mann gleich mitgebracht. Vor knapp zwanzig Jahren inszenierte Gabriele Gysi Becketts berühmten Klassiker am Euro Theater Central. Mit Brechts Flüchtlingsgesprächen knüpft sie nun daran an.
Wieder hat sie eine Rolle weiblich besetzt, was mit Gender-Gerechtigkeit weniger zu tun hat als mit ihrer Analyse von Dialogstrukturen. Die verändern sich, wenn zwei Fremde neben den sozialen Verschiedenheiten auch unterschiedliche Geschlechter-Erfahrungen mit sich tragen. Brechts überwiegend 1940/41 im finnischen Exil entstandener Text bedarf ansonsten – erschreckenderweise – keiner Aktualisierungen. Statt „Tanks“ sind es heute „Panzer und Drohnen“, aber die Zivilbevölkerung als Problem und das Kapital als Treibstoff für militärische Operationen ist geblieben. Die Regisseurin setzt in ihrer Fassung auf die Zeitlosigkeit der Gespräche, die die sokratische Methode der interaktiven Erkenntnisfindung aufnehmen. Sprunghafte Themenwechsel ergeben eine spielerische Dynamik, die vor sarkastischer Slapstick-Komik nicht zurückschreckt. Helena Rüegg (kürzlich am ETC zu Gast in einer hinreißenden Dylan-Thomas-Hommage) hat dazu eine stimmungsvolle Akkordeon-Musik komponiert.
In Frankreich hätten „Flüchtlingsströme den Truppenbewegungen die Straßen verstopft“, heißt es bei Brecht. Mit einem französischen Volkslied, dessen Text plötzlich alle Harmlosigkeit verliert, präsentiert sich „Die Kleine“, überzeugend verkörpert von Charlotte Welling, die in dieser Rolle am ETC debütiert. Als „Der Große“ erscheint Richard Hucke, seit vielen Jahren zum festen Schauspielerstamm des ETC zählend. Sie plaudern über Pässe, die deutsche Ordnungsliebe und die Ebenbürtigkeit von Bier und Zigarren. Wobei beides ihnen mit herzlichem Willkommen gereicht wird von der Regieassistentin Nina Dahl (alternierend mit Holly Fischer).
In den bösen Witz der Dialoge mischt sich gelegentlich ein wenig erotische Koketterie. Manchmal eine fast peinliche Nähe, als ob die Protagonisten intime Geheimnisse austauschten. Das Private im Politischen wird hier ebenso sinnfällig wie der brisante Kern des Liedes „Die Gedanken sind frei“, bei dem das Publikum sogar mitsingen darf. Ein hübscher Verfremdungseffekt im dialektischen Gedankenstrudel mit seinen spitzfindigen Pointen und logischen Volten: „Alle großen Ideen scheitern an den Leuten.“ Der romantische Friedenskuss der beiden Flüchtlinge am Ende ist zwar arg lang, aber vorher ist hellwache Hirntätigkeit gefordert. Das gilt für das hervorragende Darsteller-Team ebenso wie für die Zuschauer, die bei der Premiere mit Beifall und Bravo-Rufen nicht sparten.E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 ½ StD. , keine Pause
die Nächsten Termine :
5.04. // 6.04. // 18.04. // 19.04. // 24.05. // 25.05.16

Donnerstag, 07.07.2016

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