Jérusalem - Oper Bonn - kultur 124 - März 2016

Jérusalem
Foto: Thilo Beu
Jérusalem
Foto: Thilo Beu

Durch die Hölle zum himmlischen Licht


Ein spektakuläres Ereignis: Gut 168 Jahre nach der Pariser Uraufführung im November 1847 wurde jetzt Verdis Oper Jérusalem zum ers­ten Mal in Deutschland szenisch präsentiert. Es ist die französische Überarbeitung der 1843 in Mailand herausgekommenen Oper I Lombardi a la prima crociata, tatsächlich jedoch ein vom Komponisten neu konzipiertes Werk mit größerer psychologischer Figurentiefe und raffinierterer Instrumentierung.
Dass der Dirigent Will Humburg, mittlerweile Generalmusikdirektor in Darmstadt und regelmäßiger Gast in Bonn, sich in das Stück geradezu verliebt hat, ist unüberhörbar. Dem ausgewiesenen Verdi-Spezialisten verdankt die Bonner Oper die Reihe von Neuentdeckungen der selten gespielten frühen Meisterwerke des italienischen Musiktheater-Genies, die in der letzten Spielzeit mit Giovanna d’Arco begann. Unter Humburgs Leitung lotet das großartig spielende Beethoven Orchester Bonn alle dynamischen Fi­nessen der Partitur aus. Die Blechbläser triumphieren kraftvoll im kriegerischen Marsch, die Holzbläser und Streicher liefern ungemein vielschichtige Klangfarben zu der unseligen Geschichte um Liebe, mörderische Eifersucht, Ehre und Macht.
Die ist angesiedelt in der Zeit des ers­ten Kreuzzugs Ende des 11.Jahrhunderts. Im Zentrum steht jedoch nicht der Kampf zwischen Chris­ten und Muslimen um die Heilige Stadt, sondern ein emotionales Drama. In dieses wird der Zuschauer regelrecht hineingezogen durch die Videoprojektionen von Joan Rodón und Emilio Valenzuela Alcaraz. Ein Sonderlob gebührt dabei dem Licht von Thomas Roscher. Das Bühnenbild von Paco Azorin ist ein betongrauer Tunnel, in dem das Geschehen mit irrsinnigem Tempo auf das Ende zurast. Den Reiseverlauf zeigt zuvor schon auf den geschlossenen Vorhang eine ­animierte Landkarte. Von einer Holzschnitt-Ansicht Jerusalems aus der Schedelschen Weltchronik führt die Route durch Purgatorium und Hölle zum himmlischen Jerusalem, dem mystischen Sehnsuchtsort der Gläubigen.
Die Inszenierung von Francisco Negrín wählt einen überzeugenden Weg zwischen Historisierung und gedanklicher Abstraktion. Dantes Divina Commedia trifft auf allegorisches Welttheater und krude Realität. Fabelhaft bewältigt der Bonner Opernchor (verstärkt durch den Extrachor) unter der Leitung von Marco Medved seine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Sie sind die am Boden zusammengekauerte Volksmasse, arme Sünder und kriegerische Heerscharen (zugegeben: die mit Forken und sonstigem mittelalterlichen Handwerkszeug bewaffneten christlichen Pilger erscheinen leicht grotesk), die immer wieder zu pathetischen Posen erstarren und damit den Raum öffnen für die Gefühlsachterbahn der Protagonisten.
Allen voran Hélène, Tochter des Grafen von Toulouse. Die Sopranistin Anna Princeva, die hier schon als Giovanna d’Arco glänzte und in dieser Saison als Teresa in Benvenuto Cellini (inzwischen gehört sie fest zum Bonner Ensemble), singt die Partie einfach hinreißend. Sie ist das zärtlich liebende Mädchen, die tapfere Pilgerin, die in der Gefangenschaft vom Harem des Emirs von Ramla übel Gedemütigte, die verzweifelt von ihrem Vater Verstoßene und schließlich die von allen Qualen wunderbar Erlöste. Scheinbar mühelos meistert ihre schlanke Stimme alle Gefühlsregister. Das gilt ebenso für den jungen Tenor Sébastien Guèze, seit seiner brillanten Verkörperung der Titelrolle in Les Contes d’Hoffmann ein Bonner Publikumsliebling. Sein Gaston ist romantischer Lover (mit Romeo-und-Julia-Anmutung), unschuldig Angeklagter und Flüchtling (mit Entführung-aus-dem-Serail-Anmutung), ab dem dritten Akt mit blanker Brust und höchsten Tönen dem grausamen Schicksal und dem Verlust seiner Ritterehre trotzend. Die Regie zeigt physische und psychische Misshandlung selten realistisch, sondern symbolisch überhöht umso eindringlicher. Gaston wird als vermeintlicher Verräter kurz nach seiner Flucht aus dem Kerker des Emirs (mit noblem Bariton: Giorgos Kanaris) auf einem Podest der Verachtung seiner christlichen Gefährten preisgegeben, während grellgelbe Neonröhren wie Pfeile aus den schwarzen Tunnelöffnungen schießen.
Mit dem international gefragten Bassbariton Franz Hawlata (u.a. seit mehr als 20 Jahren an der Wiener Staatsoper engagiert, wo er die Partie schon 1999 in einer Inszenierung von Robert Carsen sang) ist die Rolle des zum Guten bekehrten Büßers Roger geradezu sensationell besetzt. Der Bruder des Grafen begehrte leicht inzestuös seine Nichte Hélène und wollte deren Geliebten Gaston umbringen lassen. Der gedungene Attentäter erwischte jedoch den Grafen selbst, der den Anschlag überlebte und als Heerführer gen Jerusalem zog. Weshalb er (mit tiefgründig mächtigem Bass: Csaba Szegedi) auch noch viel zu singen hat im Verlauf der Kreuzfahrt, die der strenge päpstliche Legat (Priit Vollmer, wie immer stimmlich und spielerisch ausgezeichnet) politisch in die Wege leitete und geistig anführt.
Als Gastons in die Fremde verschlagener Knappe Raymond glänzt der Tenor Christian Georg. In kleineren Rollen gefallen die Chorsolisten Christian Specht, Egbert Herold, Nicholas Probst und insbesondere Brigitte Jung als Hélènes Vertraute Isaure.
Die ganz in Weiß gekleideten Muslime (Kos­tüme: Domenico Franchi) sind eher Randfiguren des Kreuzritter-Krimis mit seinen abenteuerlichen Verwicklungen. Im Vordergrund steht das Drama verblendeter Menschen, die erst im letzten Moment die Wahrheit begreifen. Also das Licht am Ende des Tunnels. Überzeugter Premierenbeifall für eine in sich stimmige Inszenierung auf musikalisch exzellentem Niveau. Fand auch der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan, der nicht öffentlich singt, sondern lieber Kunst als Denkstoff genießt. E.E.-K.


Spieldauer ca. 3 Stunden, inkl. Pause
die Letzten Termine: 10.03. // 18.03. // 26.03. // 2.04. // 9.04.16

Tipp: Ab einer Stunde vor den Aufführungen warten auch bei Jérusalem wieder Opernführer auf Sie, die Ihnen Interessantes zu Oper und Inszenierung erzählen möchten.

Donnerstag, 07.07.2016

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