Henze, Hans Werner (1926 - 2012)

Hans Werner Henze
Foto: Philipp Hennecke
Hans Werner Henze
Foto: Philipp Hennecke

kultur 123 - Februar 2016

„Wenn, wie es sich gehörte, die Musik den Menschen ein Allgemeingut wäre, gäbe es sicherlich weniger Aggression und viel mehr Gleichheit und Liebe auf der Welt; denn die Musik ist ja ein Verständigungsmittel, ein Versöhnungsstifter.“ (Henze)
Als erstes von sechs Kindern des Lehrers Franz Henze in Gütersloh geboren, interessierte sich Hans Werner Henze schon früh für Kunst und Musik. Seine musikalische Ausbildung war aufgrund der Zeitumstände spärlich; ein richtiges Studium begann er erst im Mai 1946 bei Wolfgang Fortner am Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg. Durch die Uraufführung seines Kammerkonzerts für Solo-Klavier, Solo-Flöte und Streicher im September desselben Jahres bei den Ferienkursen für internationale neue Musik in Darmstadt kam ein Vertrag zwischen dem jungen Komponisten und dem Verlag B. Schott’s Söhne zustande. 1948 lernte Henze René Leibowitz kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Von ihm erhielt er in Paris auch einige Unterrichtsstunden. Henzes „größtes künstlerisches erlebnis, so stark und so wichtig wie die begegnung mit picasso und schönberg“ war der Besuch beim Sadler’s Wells Ballet in Hamburg. Daraufhin entstand eine ganze Reihe von Ballettkompositionen. Bereits 1948 hatte Henze Werke in beinahe allen musikalischen Gattungen komponiert.
Aufgrund verschiedener Unzufriedenheiten die Henze zu Beginn der 1950er Jahre belasteten und bedingt durch neu geschlossene Freundschaften übersiedelte der Komponist 1953 nach Italien. Bereits ein Jahr zuvor hatte Henze Ingeborg Bachmann kennengelernt, mit der ihn eine intensive Künstlerfreundschaft verband. Sie schrieb die Texte zu einigen seiner Kompositionen. Auch mit anderen Schriftstellern wie W.H. Auden, Edward Bond und Hans-Ulrich Treichel arbeitete Henze zusammen. 1960 wurde der Komponist zum ständigen Gastdirigenten der Berliner Philharmoniker gewählt und zum Mitglied der West-Berliner Akademie der Künste gekürt. Zwei Jahre später übernahm er eine Meisterklasse für Komposition am Mozarteum in Salzburg und wurde 1963 an die FU Berlin eingeladen. Den Höhepunkt seines Ruhms erreichte der Komponist mit der Uraufführung seiner Oper The Bassarids 1966 bei den Salzburger Festspielen.
Seit Mitte der 60er Jahre wandte sich Henze explizit politischen Themen zu. Er beteiligte sich am Wahlkampf der SPD, nahm an den ersten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil und beherbergte den durch ein Attentat verletzten Rudi Dutschke in seinem Haus in Marino bei Rom. Der Großteil seiner Kompositionen in dieser Zeit war bis zu den „Actions for Music“ We come to the River (1973 - 75) politisch motiviert. Seit Mitte der 1970er Jahre war Henze bemüht, künstlerische und kulturpolitische Arbeit miteinander zu verbinden. Infolgedessen rief er den Cantiere internazionale d’Arte in Montepulciano ins Leben, dessen künstlerischer Leiter er von 1976 – 1980 war. Bei diesem ein- bis zweiwöchigen Ereignis geben noch heute internationale Künstler Konzerte ohne Honorar und erarbeiten zusammen mit Laien verschiedene Musiktheaterprojekte. Ähnliche kommunalpädagogische Projekte waren die Mürztaler Musikwerkstätten und das Deutschlandsberger Jugendmusikfest (s.u.), die beide in der Steiermark stattfanden. Von 1980 bis ‘91 übernahm Henze
eine Professur für Komposition an der Kölner Musikhochschule. 1997 leitete der Komponist das Projekt „Komponieren in der Schule“ in Rendsburg, bei dem er Musiklehrern die Grundlagen kompositorischer Arbeit vermittelte. Im Auftrag der Stadt München rief Henze im Mai 1988 die Biennale, ein internationales Festival für neues Musiktheater, ins Leben. Überall in der Welt übernahm der Komponist zahlreiche Workshops und Gastprofessuren zur Förderung des musikalischen Nachwuchses. 1996 erschien seine Autobiographie mit dem Titel Reiselieder mit böhmischen Quinten. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen ehrten Henze als einen der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Henze selbst hat seine Musik mit dem Ausdruck „musica impura“ zu kennzeichnen versucht. „Meine Musik hat diese menschlichen, allegorischen, literarischen Involvements. Meine Musik ist ,impura’, wie Neruda von seinen Gedichten sagt. Sie will nicht abstrakt sein, sie will nicht sauber sein, sie ist ,befleckt’ mit Schwächen, Nachteilen und Unvollkommenheiten“. Bei dieser Kennzeichnung geht es Henze um die Durchlässigkeit der Musik für die Realität von Mensch und Natur, für das eigene persönliche Erleben, für politische Kämpfe und Erfahrungen, für Kulturformen jenseits der Kunst, für geschichtliche und mythische Vergangenheiten, für den Kontakt mit Literatur, Malerei und Theater (P. Petersen). Dabei folgt seine Kunst der Idee des modernen Humanismus, indem sie auf die Möglichkeit zu freier Entfaltung der Persönlichkeit und auf Toleranz unter den Menschen gerichtet ist. Ein vorrangiges Kennzeichen von Henzes Musik ist ihr Ausdrucksvermögen; sie beabsichtigt, die Gefühle der Hörer zu erreichen. Um dieses Ziel zu verwirklichen, werden alle Kompositionsmittel in den Dienst des Ausdrucks gestellt; die Kompositionstechnik oder das -system ist bei Henze zweitrangig.
Die weit überwiegende Zahl von seinen Kompositionen ist mit Bühne, Bild und Wort verbunden. Henzes ausgeprägtes dramaturgisches Gespür und die Vermischung verschiedenster Musikstile und -richtungen führten immer wieder zu großen Publikumserfolgen seiner Werke. E.H.


Hörtipps:
- Die Bassariden; Kostas Paskalis, Laurent Driscoll, Peter Lagger, Helmut Melchert, Ingeborg Hallstein, Wiener Philharmoniker, Christoph von Dohnanyi; Orfeo.
- Pollicino (Oper für Kinder); Philipp Holstein, Laila Fischer, Therese Affolter, Thomas Schendel, Moritz Eggert, Chor aus Schülern Berliner Musikschulen, Orchester aus Schülern Berliner Musikschulen, Jobst Liebrecht; Wergo.
- Kammermusik „Hommages“; Ensemble Recherche, Wergo.

Donnerstag, 07.07.2016

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