Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte - Oper Bonn - exklusive Online-Kritik - 18.03.2016

Märchenhaftes Traumspiel

Lena ist wach. Ständig hellwach, seit sie den leblosen Vogel fand. Ihr Freund Leander hat ihn getroffen, als er mit Steinwürfen Äpfel vom Baum holen wollte. Lena ahnt, dass der angeblich schlafende Vogel nicht mehr aufwachen wird. Deshalb weigert sie sich einzuschlafen. Die Angst vor dem Tod, bekanntlich ein Zwillingsbruder des Schlafes, ist eins der großen Themen in der Familienoper des Komponisten Marius Felix Lange, die nach der erfolgreichen Duisburger Uraufführung 2014 in der Regie von Johannes Schmid nun in Bonn angekommen ist.
Die Klangwelt ist zeitlos wie die märchenhafte Geschichte, die der bekannte Kinderbuch-Autor Martin Baltscheit verfasst hat. Sein Libretto zu "Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte" setzt heitere Gegengewichte zu den ernsten Momenten. Langes in der Spätromantik verwurzelte Musik illustriert die Gefühlsverwirrungen der jungen Protagonisten ebenso eindringlich wie die skurrilen Gestalten, die ihnen Weg begleiten. Herrlich schräg spielt die Dorfkapelle, sehr komisch agieren die Ärzteschar und die Schützen, die Lenas Schlafverweigerung schließlich als Bedrohung empfinden und das Mädchen samt seinem Freund verjagen.
Die dörfliche Fachwerkidylle von Ausstatterin Tatjana Ivschina verbirgt allerhand Geheimnisse, wobei die merkwürdig verschobenen Perspektiven nur der Anfang einer fantastischen Traumweltreise sind. Das Flussufer, an dem die Kinder unbeschwert spielten, gerät in Bewegung. Fleißige Flößer behaupten, dass Arbeit das beste Mittel gegen Schlaflosigkeit sei. Aber Lena bleibt unermüdlich und selbst gegen den üppig verabreichten Schnaps völlig immun. Mit ihrem hellen, beweglichen Sopran ist das Bonner Ensemble-Mitglied Sumi Hwang eine Idealbesetzung für das eigenwillige Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein. Der junge Bariton Maximilian Krummer gibt hinreißend ihren zärtlichen Boyfriend, der als pubertierender Welteroberer heldenhaft allen Gefahren trotzt. Wobei der düstere Totengräber (Rolf Broman mit abgründig tiefem Bass) schon richtig Angst macht. Ältere Zuschauer erkennen hinter der ganzen Fluss-Symbolik natürlich den mythischen Fährmann Charon, der die Verstorbenen über den Acheron rudert.
Ungeheuer lebendig erscheint dagegen die Vogelprinzessin Alba. Die Sopranistin Stefanie Wüst glänzt nicht nur mit kostbaren stimmlichen Koloraturen, sondern auch mit einem prachtvollen Blütenkleid (die Kostüme sind sowieso Spitzenklasse). Kein Wunder, dass Leander ihrem Charme erliegt und Lena erschöpft in einen Tiefschlaf sinkt, aus dem sie nicht mal die lauten Dorfmusikanten aufwecken können.
Dafür gibt es jedoch den Mond, dem Conny Thrimander neben seinem feinen lyrischen Tenor höchstmenschliche Gestalt verleiht. Das bekannte Lied "Der Mond ist aufgegangen" des Dichters Matthias Claudius ist Leitmotiv der Oper und wird vielfältig variiert. Zwar hat dieser wunderbare Alltagsphilosoph ständig mit seinen Zu- und Abnehmphasen zu kämpfen ("Wie ist das nur geschehen? Ich bin nur halb zu sehen und doch so rund und schön."), ist aber ein treuer Begleiter der Kinder auf ihrer Abenteuerreise. Als skeptische Eltern machen Ceri Williams und Daniel Pannermayr gute Figur im Spiel ums Erwachsenwerden ihrer Sprösslinge.
Unter der musikalischen Leitung von Christopher Sprenger könnte die Aufführung geradezu mondsüchtig machen. Das Beethoven Orchester Bonn lässt alle Klangfarben der Partitur leuchten, der durch Mitglieder des Extrachors verstärkte Opernchor singt alle Nachtgespenster fort, sechs Tänzer (Choreographie: Ann Holter) sorgen für Bewegungszauber.
Vielleicht haben Lena und Leander alles nur geträumt, während sie am Fluss in den Apfel der Selbsterkenntnis bissen. Denn das Erwachen zum eigenständigen Leben ist das Hauptthema dieses Musikdramas. Ein guter Anfang ist damit bei dem Kooperations-Projekt für neue Familienopern auf der Rheinschiene jedenfalls gemacht. Neue Werke sind schon fertig und demnächst in Bonn zu erleben. Um den Schlaf bringen wird die harmlose erste Produktion kaum jemanden. Sie ist einfach sinnlich betörend reizvoll für Kinder ab acht Jahren und Erwachsene jeden Alters. Also in jeder Hinsicht gut.
E. E.-K.

Ca. 90 Min., keine Pause.






Donnerstag, 24.03.2016

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