Ursula Grossenbacher - kultur 120 - November 2015

Ursula Grossenbacher
Foto: Thilo Beu
Ursula Grossenbacher
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Ursula Grossenbacher
– Das Fest, Höfi und der Präsident

Als „neugierig“ beschreibt sie sich am liebsten, obwohl sie eigentlich nicht gern über sich selbst redet. Am Tag unseres Gesprächs hatte Ursula Grossenbacher eine Probe in den Kammerspielen, musste dann zur Anprobe in die Kostümabteilung nach Beuel und probte abends wieder in Bad Godesberg. In Schillers Kabale und Liebe (Premiere ist am 30.10.) verkörpert sie den Präsidenten von Walter. „Als der Regisseur Martin Nimz mich fragte, ob ich diese Rolle spielen möchte, habe ich spontan zugesagt. Wir machen daraus aber keine ‚Präsidentin‘, sondern zeigen ihn jenseits seines biologischen Geschlechts als kalten Machtmenschen.“ Wirklich schwierig findet sie Schillers pathetische Sprache. „In diese verrückte Sturm-und-Drang-Prosa mit ihren Floskeln, alten Begriffen und rhythmischen Brechungen muss man sich regelrecht ‚reinschrauben‘. Seine klassischen Blankverse sind viel leichter zu lernen.“ Sie sagt das aus Erfahrung, denn 2008 spielte sie an ihrer vorigen Wirkungsstätte, dem Badischen Staatstheater Karlsruhe, die Elisabeth in Schillers Maria Stuart.
Martin Nimz, den sie sehr schätzt, kennt sie aus ihrer Zeit in Karlsruhe. In seiner Inszenierung von Grabbes wüstem Dramen-Erstling Herzog Theodor von Gothland 2011 spielte sie den schwedischen König Olaf, ebenfalls eine Männerrolle. Zum Ensemble gehörte auch Benjamin Berger, jetzt ihr Kollege am Bonner Schauspiel. Dramaturgin der Produktion war Nina Steinhilber, die 2013 mit Beginn der Schauspieldirektion von Nicola Bramkamp nach Bonn wechselte. Auf Empfehlung von Steinhilber lernte die Schauspieldirektorin Ursula Grossenbacher kennen und schlug ihr vor, in die Bundesstadt zu kommen. „Nach 12 Jahren Karlsruhe war es Zeit für was Neues. Ich wollte frische Luft schnappen, neue Impulse, neue Kollegen usw.“ Seit der Spielzeit 2014/15 ist sie hier festes Ensemble-Mitglied. Als Polina in Tschechows Möwe stellte sie sich dem Bonner Publikum vor. „Keine wirklich große Rolle, aber darüber war ich ganz froh, weil ich so Zeit hatte, die neuen Kollegen kennenzulernen. Ich bin ein ausdrücklicher Fan des Ensemble-Theaters. Wenn man die Mitspieler kennt und weiß, dass man gut zusammenpasst, kann man sich viel besser auf die künstlerische Arbeit konzentrieren.“
Ursula Grossenbacher wurde in Zürich geboren und wuchs in Männedorf auf. „In einem Männerhaushalt, denn ich habe drei Brüder. Da lernt man, sich durchzusetzen“, sagt sie lachend. Sie lacht überhaupt oft und spielt auch gern Komödien, wie z.B. 2011 in Karlsruhe Zwei nette kleine Damen auf dem Weg nach Norden von Pierre Notte und 2013 Richtfest von Lutz Hübner. „Je unterschiedlicher die Rollen, desto besser. Das ist das Privileg unseres Berufes, dass man sich bewegen muss und immer wieder anders sein kann.“
Ihre Begeisterung fürs Schauspiel weckten Theaterbesuche in Zürich. „Das erste Stück, das ich als Jugendliche gesehen habe, war ausgerechnet Kabale und Liebe, und ich war fasziniert.“ Studiert hat sie trotzdem erst mal Gesang an der Zürcher Musikhochschule und an der Opernschule Basel. „Musik spielte eine große Rolle in unserer Familie, deshalb war für mich der musikalische Umweg zur Schauspielerei naheliegend“. 1988 wurde für die Baseler Premiere der Weihnachtsfarce Der Messias von Patrick Barlow mit Musik von Christoph Marthaler eine Sängerin gesucht, und mit Grossenbacher besetzt. Die legendäre Produktion wanderte weiter ans Deutsche Schauspielhaus Hamburg, an die Münchner Kammerspiele und ist immer noch in Luxemburg zu sehen. Grossenbacher wirkt dabei natürlich längst nicht mehr mit. Nach Gastrollen in Basel und Hamburg und einem festen Engagement in Braunschweig wurde sie 1995 unter der Intendanz von Knut Weber Ensemble-Mitglied des Landestheaters Tübingen. Als für ihre Entwicklung besonders wichtige Rollen nennt sie Charlotte Corday in Marat / Sade, die Titelrolle in Nora und Maggie in Die Katze auf dem heißen Blechdach.
Als Weber 2002 Schauspielchef in Karlsruhe wurde, zog sie mit und blieb auch nach dessen Wechsel nach Ingolstadt 2011 unter der neuen Generalintendanz von Peter Spuhler am Badischen Staatstheater. Unter den vielen großen Rollen, die sie dort spielte, hebt sie Hofmannsthals Elektra hervor. „Diese Figur interessierte mich seit langem. Sogenannte Traumrollen habe ich kaum, aber Elektra wollte ich unbedingt irgendwann spielen.“ Sehr gefallen hat ihr auch Handkes Spiel vom Fragen in der Regie von Michael Simon. Grossenbacher spielte den Parzival. Mit Simon hat sie mehrfach gearbeitet: „Es ist spannend, wie sich durch seine Raumfantasie figürliche Fantasien entwickeln.“
Ihr sängerisches Talent ist selbstverständlich immer wieder gefragt, obwohl sie sich klar für das Sprechtheater entschieden hat. In Karlsruhe spielte sie z.B. die Titelrolle in dem Musical Alice von Robert Wilson und Tom Waits – als erwachsene Frau auf der Suche nach dem Wunderland hinter dem Spiegel. Dass sie auch mit Purcells barocker Musik umgehen kann, hörte man in Bonn bei ihrer Marquise de Merteuil in Gefährliche Liebschaften. In ihrer Interpretation beeindruck­te hinter der glatten Fassade von intellektueller Überlegenheit und zynischer Intriganz die ungeheure Zerbrechlichkeit der Figur. In den Kammerspielen ist Grossenbacher derzeit zu erleben als Else in Das Fest, inszeniert von Martin Nimz. „Wie diese Frau alles Erlebte in sich aufstaut und nicht rauslassen kann, ist schauspielerisch echt kräftezehrend. Wir spielen das wirklich gern, aber für uns alle ist die Vorstellung höchst anstrengend, weil die emotionale Intensität jedem an die Nieren geht.“
In der Werkstatt ist sie in Spieltrieb im eleganten Hosenanzug die Erzählerin und die Lehrerin Höfi, die ihre Verletzlichkeit sarkas­tisch verbirgt. Und weil sie neugierig ist, lässt sie sich mit Freude auf Experimente ein, wie z.B. Eine Nacht lang Familie, eine Stückentwicklung ihrer Schweizer Landsfrau Sabine Harbeke, und die Deutschlandrevue Chronik eines torkelnden Planeten von Patrick Wengenroth. Mit ihm hat sie schon in Karlsruhe zusammengearbeitet bei seiner Inszenierung von Männerphantasien nach Klaus Theweleit. „Wengenroth ist unheimlich belesen und bringt immer eine Menge Material mit. Man lernt jedes Mal etwas Neues. Ich habe mich regelrecht festgebissen an den Texten von Hannah Arendt. Trotz der Länge der Vorstellung haben wir Kollegen uns sehr gefreut, dass gerade diese Produktion viel junges Publikum in die Werkstatt lockte.“
Kurz nach der Bonner Möwe-Premiere, war sie mit dem 2013 in Karlsruhe uraufgeführten Projekt Müdigkeitsgesellschaft nach Peter Handke und Byung-Chul Han (Regie: Stefan Otteni) im September 2014 zu Gast beim Internationalen Ibsen-Festival in Oslo. Unterwegs ist die schlanke Frau mit dem burschikosen Kurzhaarschnitt und den hellwachen braunen Augen gern, vor allem gedanklich. „Wenn mir eine Idee fremd erscheint, nehme ich das erst mal als Herausforderung, bin aber auch eine Freundin klarer Worte und kann ab und zu anecken.“ Von Müdigkeit also keine Spur – stattdessen eine Menge Neugier.

Donnerstag, 26.11.2015

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