Thebans - Oper Bonn - kultur 117 - Juni 2015

Von Lebenden und Toten



Das Schicksal des unschuldig schuldig gewordenen Vatermörders und Muttergatten Ödipus fasziniert bis heute. Es geht um menschliche Grundgegebenheiten, um das Verhältnis zu sich selbst und zu den anderen. Seit Sophokles vor fast zweieinhalb Jahrtausenden seine drei Theben-Tragödien verfasste, haben zahllose Dichter und etliche Komponisten den mythischen Stoff aufgenommen. Sehr beeindru­ckend hat das nun der Brite Julian Anderson getan, dessen Opernerstling Thebans 2014 mit großem Erfolg in London uraufgeführt wurde und genau ein Jahr später in Bonn seine deutsche Erstaufführung erlebte. Thebans ist ein Auftragswerk der English National Opera in Kooperation mit dem Theater Bonn, in dessen Werkstätten die gesamte Ausstattung produziert wurde. Anderson schrieb das Werk in enger Zusammenarbeit mit dem irischen Dramatiker und Sophok­les-Übersetzer Frank McGuiness.
Sie haben in der dreiaktigen Oper die äußere Handlungs-Chronologie verschoben zugunsten einer inneren Entwicklung von der Vergangenheit über die Zukunft zur Gegenwart. Am Ende steht wie eine ­Rück­­blende auf das Unheil der vorhergehenden Akte Sophokles‘ Spätwerk Ödipus auf Kolonos. Im geheimnisvollen Wald von Kolonos scheint die Zeit aufgehoben. Nach der grausamen Entlarvung und Selbstblendung des König Ödipus und nach der tödlichen Auseinandersetzung seiner Tochter Antigone mit dem totalitären Regime ihres Onkels Kreon tauchen die Gestorbenen wieder auf und versuchen zu begreifen, was ihnen widerfuhr. Auch Andersons vielfarbige Musik bewegt sich hier mit leiseren Tönen auf der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt. Martialische Rhythmen und harte Kontraste bestimmen den mittleren „Antigone“-Teil, hochdramatische Dialoge den ersten Akt. Andersons Klangvokabular ist ungeheuer vielfältig, besticht durch originelle Instrumentierung (diesmal verzichtet er auf elektronisch erzeugte Töne) und besonders durch die präzise psychologische Gestaltung des Geschehens. Puristen der modernen Musik mögen solche Opulenz mit gelegentlichen tonalen Passagen für ein Sakrileg halten. Aber es hört sich einfach fabelhaft an – auch für Zuhörer ohne Spezialausbildung.
Zumal das Beethoven Orchester unter der exzellenten Leitung von Johannes Pill alle Nuancen der Partitur wunderbar klar herausarbeitet. Eine Sternstunde ist das Werk auch für den Chor unter der Leitung von Volkmar Olbrich, der Bonn leider am Ende dieser Saison verlässt. Der Chor ist in der griechischen Tragödie ohnehin ein Hauptakteur; was er bei Thebans leistet, gehört indes zum Schwierigsten der gesamten Musiktheater-Literatur. Die Inszenierung von Regiestar ­Pierre Audi bleibt dagegen recht statisch. Was jedoch von Vorteil ist für die komplexe Struktur des Werkes. Im Bühnenbild von Tom Pye dominiert die strenge Geometrie von Treppen und erratischen Mauern aus mit grauen Steinen gefüllten Drahtkäfigen. Im letzten Akt ragen kahle Bäume aus dem verwüsteten Grund. Graue Lumpengewänder (Kostüme: Christof Hetzer) sind den verlorenen Seelen geblieben. Antikisierend weiß gekleidet sind sie im ersten Akt, in schwarze Faschisten-Uniformen im zweiten.
Nur die Mezzosopranistin Anjara I. Bartz darf als Jocasta im blauen Kleid einen optischen Farbakzent setzen. Stimmlich leuchtend und darstellerisch packend verkörpert sie die Mutter und Gattin des Ödipus, die angesichts der Wahrheit den Tod wählt. Mit ihren Broschen sticht sich blutig der entsetzte König die Augen aus. Der britische Bariton William Dazeley ist als Ödipus ein Ereignis. Grandios verkörpert er mit seiner ausdrucksstarken Stimme den ambivalenten Charakter des Herrschers, der seine Kinder nicht mehr lieben kann. Treu zu ihm hält seine Tochter Antigone, der Yannick-Muriel Noah ihren üppigen Sopran leiht. Sie berührt bis zum bitteren Ende, wenn sie einsam den Verlust ihres Vaters beklagt. Als zwischen Staatsraison und Gewalt schwankender Kreon glänzt der international gefragte Charaktertenor Peter Hoare, der schon bei der Uraufführung in London dabei war. Ein Gast der absoluten Spitzenklasse!
Aus dem Bonner Ensemble gibt Rolf Broman den blinden Seher Tiresias, der der Sage nach einst in eine Frau verwandelt wurde. Sein solider Bass steht in einem skurrilen Kontrast zu seiner androgynen Erscheinung im eleganten Abendkleid. Auch dem Athener König Theseus im dritten Akt gibt Anderson bewusst eine merkwürdige Ausstrahlung: Die Rolle ist (wie der Bote in den beiden vorherigen Akten) mit einem Countertenor besetzt. Jakob Huppmann singt brillant diese helle Kunstfigur, die Ödipus am Ende zum Grab geleitet.
Als verhasster Sohn Polyneikes hat der Bariton Giorgos Kanaris eine emotional tiefgründige und für die Antigone-Handlung folgenreiche Auseinandersetzung mit seinem Vater Ödipus. Als Hämon, geliebter Sohn des Kreon, der sich auflehnt gegen dessen destruktives Machtsystem, überzeugt der Tenor Christian Georg.
Es sind gut 100 Minuten hochkonzentriertes Musiktheater, bei dem die Regie sich angenehm zurücknimmt. Die beiden Pausen machen dramaturgisch Sinn, um die verstörenden Ereignisse nachzuvollziehen. Der Premierenapplaus für alle Beteiligten war so fulminant, wie man ihn selten bei einer zeitgenössischen Oper erlebt. Der anwesende Komponist genoss den Beifall sichtlich. In London wurde das Werk schon als Meilenstein für die Zukunft des Musiktheaters bezeichnet. In Bonn sollte man es sich aber nicht nur deshalb auf keinen Fall entgehen lassen. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2¾ Stunden, Zwei Pausen
die letzten Termine: 31.05. // 4.06.2015

Dienstag, 22.09.2015

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