Nessi Tausendschön - kultur 115 - April 2015

Ich bin sehr gut im Verdrängen
– Nessi Tausendschön über Selbstzweifel, Kriegssorgen und Limonade; von Thomas Kölsch

Wie die Zeit verrinnt. 25 Jahre steht Nessi Tausendschön nun schon auf der Bühne, singt sich (manchmal sogar als Engel) in die Herzen der Menschen, lässt ab und zu auch mal das innere Kind raus – und hätte das Jubiläum fast ignoriert. „Ein Grund zum Feiern? So habe ich das noch gar nicht betrachtet“, sagt die Diseuse, die auf Daten und Jahrestage keinen allzu großen Wert legt. „Klar, es ist schön, dass ich immer noch dabei bin und Freude an dem habe, was ich tue.“ Aber das galt ja schon im vergangenen Jahr und wird in diesem hoffentlich ebenso zutreffen. Auch wenn da schon ein neues Programm die Zähne fletscht und mit den Hufen scharrt.

Immerhin, das Vierteljahrhundert hat Tausendschön Gelassenheit gelehrt. „Ich bin altersmilde geworden“, gesteht sie lachend, die Angst mancher Kabarettisten vor diesem Begriff als nebensächlich abtuend. „Ich nehme nicht mehr alles so schwer.“ Zumindest im Privatleben. Auf der Bühne kann, darf und will sie sich weiterhin aufregen. Das gehört dazu. „Da traue ich mich auch Sachen, die ich sonst so nicht machen oder sagen würde. Zumal ich inzwischen gut zwischen meiner Bühnenfigur und mir als normaler Person differenzieren kann. Früher hatte ich damit mehr Probleme.“ Dabei war der Name „Tausendschön“ schon von Anfang an als Schutzmechanismus angelegt, als Alter Ego, als die Personifikation des Widerstands gegen das biedere und bierernste Bürgertum. „Ich fand das hübsch und auch ein bisschen größenwahnsinnig“, erklärt die studierte Theaterwissenschaftlerin und ausgebildete Zierpflanzengärtnerin. „Es gab allerdings mal eine Zeit, in der ich daran gezweifelt habe – aber ich habe schnell gemerkt, dass mein echter Name nicht zieht.“ Also hat sie mit der Skepsis abgeschlossen und fühlt sich inzwischen extrem wohl in ihrer Haut. Der echten und der künstlerischen. Nur eine von vielen Entwicklungen, die Tausendschön mitgemacht hat. „Am Anfang habe ich ja nur gesungen und bin dann mehr und mehr in die Sprache gerutscht“, erinnert sie sich. „Und ich bin vor allem in den letzten Jahren viel politischer geworden. Ich finde, diesen Bereich des Kabaretts sollte man nicht nur den Männern überlassen.“ So weit reicht besagte Altersmilde dann doch nicht. Zumal das kabarettis­tische Gänseblümchen auch vorzeigbare und einsatzbereite Dornen hat. Und sich bei manchen Krisen durchaus Sorgen macht: „Die Situation in der Ukraine zum Beispiel ist so unübersichtlich und schreck­lich – darüber kann ich noch nicht einmal Witze machen.“ Da helfen nur ernste Töne.

In manchen Momenten, wenn Nessi Tausendschön zu sehr mit der Welt oder sich selbst hadert, greift ein anderer Schutzmechanismus: „Ich bin sehr gut im Verdrängen“, gesteht sie lachend. Ob es nun um Jubiläen geht oder um schlechte Erfahrungen und kritische Stimmen, die im Laufe der Zeit natürlich nicht ausgeblieben sind, die die „alte Schabracke“, wie sie sich selbstironisch von ihrem Schutzengel bezeichnen lässt, aber nicht länger an sich heranlässt. „Sonst würde ich wahrscheinlich wahnsinnig werden“, erklärt sie. Auch die Arbeit an einem neuen Programm ist etwas, das Tausendschön gerne ausblenden würde. „Man sitzt vor leeren Blättern, findet jede Pointe hohl und flach, zweifelt an sich. So ging es mir zumindest bei 'Die wunderbare Welt der Amnesie'. Das war eine schwere Geburt.“ Die aktuelle schien ihr dagegen leichter gefallen zu sein. „Die Hälfte der Texte stand relativ schnell“, freut sich die Kölnerin. Das Gesamtergebnis steht unter dem Titel Essig im Herz der Limonade und wird nach einigen vorsichtigen Testversuchen in ausgewählten Städten im vergangenen Jahr jetzt zunehmend auf die Republik losgelassen. Wie üblich gibt es Spitzen, Absurditäten und natürlich Lieder – gerade letztere nehmen immer noch einen beträchtlichen Raum in den Tausendschönen Programmen ein. Hierbei kann sich die Diseuse auf ihr treu ergebene Musiker verlassen, die in mehr als einer Hinsicht als Begleitung dienen. „Mit Marcus Schinkel, der mich oft am Klavier begleitet, bin ich schon seit fast 15 Jahren unterwegs.“ Und die Chemie zwischen ihr und dem Gitarristen William Mackenzie stimmt ebenfalls. Gut so, sagt Tausendschön. „Ganz alleine wollte ich nicht quer durch die Republik reisen. Die Einsamkeit liegt mir einfach nicht.“

Donnerstag, 10.09.2015

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