Hiob - Kammerspiele - kultur 114 - März 2015

Hiob
Foto: Theater Bonn
Hiob
Foto: Theater Bonn

Wanderer zwischen den Welten


Die Bewegungsunfähigkeit ihres kleinen Bruders Menuchim scheinen seine Geschwister kompensieren zu müssen durch Gezappel, Tanzeinlagen und halsbrecherische Turnübungen an dem riesigen runden Metall-Spinnennetz, das die Bühne von Sabine Kohlstedt beherrscht. Regisseurin Sandra Strunz lässt, unterstützt durch die Choreographie von Ted Stoffer und Lisi Estaras, die Schauspieler sehr körperlich agieren in ihrer Inszenierung von Hiob nach dem 1930 erschienenen Roman von Joseph Roth. Gerade dadurch entwickelt sie jedoch sehr eindringliche Bilder und Emotionen.
Auf Schtetl-Romantik verzichtet sie ebenso wie auf die metaphysischen Dimensionen der an den alttestamentarischen Dulder Hiob verweisenden Geschichte. Die Familie des Thora-Lehrers Mendel Singer erscheint wie eine ratlose Artistentruppe unter der angedeuteten Zirkuskuppel. Schwer belastet alle die Behinderung des kleinen Menuchim. Wenn die Kinder ihn unsanft über den Boden schleifen oder in einer zur Schaukel umfunktionierten Blechwanne ans Gestänge hängen, kommt man nicht umhin, daran zu denken, dass der Schauspieler Samuel Koch seine große Bekanntheit einem Unfall bei der TV-Show „Wetten, dass…?“ verdankt und seitdem querschnittsgelähmt ist. Obwohl das Theater Bonn diesen traurigen Umstand im Vorfeld als Publicity-Instrument eifrig nutzte, tappt die Aufführung keineswegs in die Falle, die reale Behinderung ‚auszustellen‘. Der hilflose Menuchim ist hier das Zentrum der Familie und der Grund ihres Zerfalls.
Sehr überzeugend spielt Koch das körperlich und geistig zurückgebliebene Wesen, in dessen Augen jedoch manchmal kindlicher Trotz und leiser Spott aufleuchten. Nur Klänge scheinen die fast durchsichtige Gestalt zu berühren. In der rhythmisch fein strukturierten Inszenierung, die dem Ton der Erzählung genau folgt, illustrieren und kommentieren die Musiker Rainer und Karsten Süßmilch an diversen Objekten und Instrumenten live das Geschehen. Sie schaffen damit auch das atmosphärische Kolorit der russischen Dorfgesellschaft und der Metropole New York, in die Mendel mit Frau und Tochter dem ausgewanderten Sohn folgt. Vom Bühnenhimmel schwebende bunte Plastiktüten symbolisieren den Einzug ins gelobte Land Amerika, in dem Mendel Singer sich nie heimisch fühlen wird.
Wolfgang Rüter verkörpert beeindruckend den starrköpfigen Schulmeister, der in der Neuen Welt zusehends vereinsamt. Weltlicher Heilkunst wollte der tiefgläubige Jude die „Gottesgabe“ Menuchim nicht anvertrauen und musste ihn doch in der Heimat zurück­lassen. Nach ihrem Sorgenkind, das nur das Wort „Mama“ stammeln konnte, sehnt sich auch Mutter Deborah. Die großartige Sophie Basse ist in dieser Rolle die stärks­te Figur des Abends. Zärtlich trägt sie anfangs Menuchim auf den Armen, die das Gewicht kaum halten können, so dass Tochter Mirjam oft ihren Rü­cken als Stütze herhalten muss. Eisern kämpft sie für das Leben ihrer Sprösslinge, und zunehmend verhärmt trotzt sie dem Schicksal. Bis sie in einem tief unter die Haut gehenden Moment bei der Nachricht vom Tod des Sohnes Schermajah verstummt und stirbt.
Bestechend klar spielt Daniel Breitfelder den stets munteren, bestgeratenen Sohn, der als Sam in Amerika sein Glück macht und für sein neues Vaterland in Europa fällt. Einen schönen Kontrast dazu setzt Benjamin Berger als verträumter, trotzköpfiger Sohn Jonas, der den jüdischen Traditionen nichts mehr abgewinnen kann, vom leichten Soldatenleben schwärmt und allen Familienbürden entflieht. Seine Spuren verlieren sich in der russischen Armee. Vor der Belastung durch die häusliche Enge flieht Tochter Mirjam in die Sexsucht. Dass sie es mit den Kosaken treibt, gibt für Mendel den Ausschlag für den Entschluss zur Emigration. Mareike Hein verkörpert fabelhaft genau das naiv sinnliche Mädchen, dessen unstillbare Sehnsucht schließlich umschlägt in eine schwere Psychose. Selbst Sams treuer Freund und Mirjams Mac (glänzend: Benjamin Grüter) kann da nicht mehr helfen.
Mendel Singer, gezeichnet von diesen Schick­salsschlägen, ist allein mit seinem Gott, der all das Unglück zuließ. Mendel tobt und will verbrennen, was ihn mit seinem Schöpfer verbindet. Doch plötzlich geschieht das Wunder.
Regisseurin Strunz findet eine überzeugende Lösung für den ans Märchenhafte grenzenden Schluss. Grelles Licht blendet die Zuschauer, und dann erscheint – in blaues Licht getaucht wie eine Traumvision – auf einem Stuhl sitzend ein selbstbewusst lächelnder junger Mann im eleganten schwarzen Anzug. Es ist Menuchim, der von seiner Krankheit geheilt und ein weltberühmter Dirigent wurde. Das überstandene Leid ist zwar nicht weggewischt, aber auf seinem Gesicht liegt ein inneres Strahlen, das man geradezu körperlich spürt. Hier sind der Schauspieler und seine Theaterfigur über jeden drohenden Voyeurismus hinweg klug zusammengeführt.
Nicht alle Einfälle der Inszenierung sind gleichermaßen stimmig, manche Szenen leicht überdehnt. Das Schauspiel-Ensemble präsentiert sich auf hohem Niveau. Dass man auch im Theater das Thema Inklusion an­packt, ist sicher wichtig. Man muss es aber nicht überstrapazieren angesichts der rundum gelungenen Vorstellung, einer Koproduktion mit dem Staatstheater Darmstadt, wo Samuel Koch seit dieser Spielzeit fest engagiert ist.
Begeisterter Premierenbeifall, auch für die Bonner Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp, die als Dramaturgin zum Inszenierungsteam gehörte. Die nächsten Aufführungen sind bereits ausverkauft. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause

Dienstag, 25.08.2015

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