Françaix, Jean (1912 - 1997)

Jean Francaix
Foto: Philipp Hennecke
Jean Francaix
Foto: Philipp Hennecke

kultur 112 - Januar 2015

Der in Le Mans (Pays de la Loire) geborene Komponist und Pianist wuchs unter professionellen Musikern auf: Seine Mutter war Sängerin, Gründerin eines Chores und lehrte Gesang am Conservatoire von Le Mans, sein Vater war der Direktor des Conservatoires und selbst Pianist und Komponist. Mit sechs Jahren schrieb Jean sein ers­tes Klavierwerk; den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater. In einem Brief Maurice Ravels an den Vater bescheinigte dieser dem jungen Musiker ein überragendes Talent und „die kostbare Gabe der Neugier“. 1924 erhielt Jean den Prix d’honneur, 1930 den ersten Preis als Pianist nach Studien am Pariser Conservatoire bei Isidore Philipp. In Kontrapunkt, Komposition und Analyse erhielt er privaten Unterricht von Nadia Boulanger, deren Lieblingsschüler er wurde. Sie interpretierte und dirigierte einige seiner Werke. Die Förderung durch hochrangige Persönlichkeiten des Pariser Musiklebens wie der Princesse Edmond de Polignac war mitverantwortlich für seine frühe Anerkennung und internationale Bekanntheit. Ein erster Sensationserfolg war 1936 die Aufführung seines bereits vier Jahre vorher entstandenen Klavier-Concertinos beim Baden-Badener Kammermusikfest. In diesem Werk sind bereits alle Merkmale seiner späteren Kompositionen idealtypisch ausgeprägt: technischer Anspruch, Virtuosität, transparente Stimmführung, einprägsame Melodik, Formgefühl und ausgewogene Proportionen, gepaart mit Anmut, Witz, Schwung und Ironie. Heinrich Strobel schrieb damals über dieses Werk: „Nach so viel problematischer oder nachempfundener Musik wirkte dieses Concertino wie frisches Quellwasser, das mit der lächelnden Unbefangenheit des Natürlichen dahersprudelt und zugleich wie die Schöpfung eines Künstlers, der eine in unseren Tagen seltene Klarheit und Bewußtheit besitzt“.
Françaix ignorierte jegliche Schulen, Gruppierungen und Trends. Von den Strömungen seiner Zeit unbeeinflusst huldigte er als Individualist und Einzelgänger der Diatonik und Dur-Moll-Tonalität. Françaix stand anfangs der Groupe de Six nahe. Wie Milhaud schrieb er mit leichter Hand eine große Zahl von Werken in nahezu allen Gattungen bzw. Besetzungen und Instrumentalkombinationen. Seine über 200 Kompositionen umfassen Vokalmusik, Opern, Ballette, Orchesterwerke und Konzerte, Kammermusik, Klaviermusik und Filmmusik (u.a. für Sacha Guitty). Françaix war ein Meis­ter phantasievoller Orchestrationskunst, wie eine Vielzahl von Bearbeitungen und Orches­trierungen von Werken anderer Komponisten belegt.
Den vielen Kompositionsaufträgen vor allem aus Deutschland in den 1980er und 90er Jahren kam er bis ins hohe Alter nach. Seine Popularität vor allem auch in Deutschland hat nicht zuletzt wohl auch seine Ursache in der nahezu exklusiven Bindung an den Verlag Schott in Mainz. Das Mainzer Bläser-Ensemble unter Klaus Rainer Schöll versorgte Françaix dauerhaft mit kleinformatigen Gelegenheitswerken.
Der Komponist nahm zeit seines Lebens aktiv am Konzertleben teil und reiste zu zahlreichen Aufführungen seiner Werke. Als erstklassiger Pianist und Interpret brachte er viele seiner Kompositionen in ausländischen Konzertsälen zur Uraufführung. Er konzertierte mit seiner Tochter Claude, die selbst auch Pianistin ist, und machte sich als Begleiter einen Namen: Auf zahlreichen Tourneen war er der Partner des Cellisten Maurice Gendron.
Als Ideal schwebte Françaix „Musik von einer Reinheit, einer Beschaulichkeit und einem Humor“ vor, „die sie mir gleichsam als Gegengift zur zeitgenössischen Kunst erscheinen lassen. Doch sagen Sie das bitte nicht weiter.“ K. Schumann stellte 1992 fest: „…die Sachverwalter des Tiefsinns nehmen ihn nicht ernst, hüten sich aber, über ihn herzufallen, um nicht der Humorlosigkeit geziehen zu werden.“ E.H.


Hörtipps:
- L'Apocalypse selon St. Jean, Kurt Azesberger, Herbert Bolterauer, Waltraud Hoffmann-Mucher, Robert Holzer, Eva Lind, Jeunesse-Chor Linz, St. Jakobi-Kantorei Göttingen, Christian Simonis, Göttinger Symphonie Orchester, Wergo.

Donnerstag, 05.02.2015

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