Anni Hartmann - kultur 111 - Dezember 2014

Frauenquote fürs Kabarett
– Anny Hartmann über Diskriminierung, Banker und das Mittelpunkt-Gen, von Thomas Kölsch

Männer reden über Politik, Frauen über Kinder: Thematisch gesehen scheint die Kabarettlandschaft in Deutschland streng geschlechterspezifisch aufgeteilt zu sein. Gut, werdende oder seiende Väter können sich natürlich auch über ihre häuslichen Probleme auslassen – aber eine Kabarettistin, die sich mit den großen ökonomischen und politischen Problemen unserer Zeit beschäftigt? Ist gar nicht so leicht zu finden. Doch es gibt sie. Unter anderem in Gestalt von Anny Hartmann, die auf dieses im weitesten Sinne sexistische Schubladendenken schnell allergisch reagiert. „Wenn man mal etwas ins Detail geht, gibt es nur wenige Männer, die inhaltlich nachhaltiges politisches Kabarett machen“, sagt sie und lacht. Die Kölnerin ist immer gut gelaunt, locker, entspannt, auch wenn es um Aspekte ihres Berufs geht, die sie durchaus kritisch sieht. „Seien wir mal ehrlich: Frauen, die etwas zu sagen haben, kommen nicht so leicht ins Fernsehen wie Männer. Dieses Medium ist aber immer noch der beste Werbeträger für Kabarettisten. Also werden die Frauen nicht so bekannt, werden also auch nicht so gerne von Veranstaltern gebucht. Ein Teufelskreis. Und das Schlimmste daran ist, dass diese Art der Diskriminierung einfach nicht wahrgenommen wird.“

Dabei lohnt es sich, Anny Hartmann zuzuhören. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin kennt sich sowohl mit Banken als auch mit Pointen aus und nutzt ihr Talent, um gekonnt und präzise auf so manche Missstände aufmerksam zu machen. „Ich habe fünf Jahre bei der Sparkasse gearbeitet, obwohl Geld an sich mich gar nicht interessiert“, gesteht sie. Dadurch erhielt sie einzigartige Einblicke, die sie heute auf der Bühne zu nutzen weiß. Auch wenn damals diese Idee noch ganz weit entfernt war. „Ich hatte glaube ich mit 19 Jahren zum ersten Mal Volker Pispers auf der Bühne gesehen und dabei gemerkt, dass der genau das aussprach, was ich mich nie zuvor getraut hatte zu sagen. Das fand ich großartig.“ Aber die Angst vor dem Rampenlicht war zu groß. „So was kann ich doch selbst nicht, habe ich gedacht.“ Doch die Faszination blieb. Später, parallel zum Nebenjob in der Sparkasse, baute Hartmann in Köln eine offene Bühne auf, gab ihren zukünftigen Kollegen Feedback und bemerkte, dass sie ein gutes Gespür für Pointen und deren Timing besaß. „Schließlich hat mich dann ein Freund auf die Bühne gezwungen“, erzählt sie. „Ich habe mich gewehrt und ihm gesagt, dass mir das Mittelpunkt-Gen vollkommen fehlt. Er aber bot mir einen Deal an: Ich sollte ein Jahr lang mit einem Comedy-Programm auftreten, und bei jedem Auftritt würde er in der ersten Reihe sitzen. Wenn es mir in dieser Zeit nicht Spaß machen würde, könnte ich wieder aufhören. Zehn Tage vor Ablauf der Frist hat es dann tatsächlich gefunkt.“
Wie aber kommt man von einem klassischen Mann-Frau-Comedy-Programm zum politischen Kabarett? „Für mich war das die logische Konsequenz“, sagt Hartmann. „Ich habe schon immer gesellschaftskritische Aspekte aufgenommen. 2009 hat mich dann meine Agentin gefragt, ob ich nicht einen Jahresrückblick machen wollte – den gab es sonst nur von Männern. Ich fand diese Herausforderung spannend und habe das gemacht. Danach, etwa im Februar, habe ich mir wieder mein Comedy-Solo vorgenommen, ich musste ja wieder reinkommen. Und dabei habe ich gemerkt, dass ich meine alten Texte alle belanglos fand. Also habe ich meine Agentin angerufen und ihr gesagt, dass ich ab Herbst nur noch politisches Kabarett mache.“

Der Schritt hat sich gelohnt, auch wenn die Fanbasis ruhig noch etwas wachsen könnte. Stichpunkt Fernsehen. „Wenn 'Neues aus der Anstalt' bei mir anrufen würde, fände ich das natürlich großartig. Aber die lassen sich ganz schön Zeit.“ Seltsam, zumal Anny Hartmann das Beste aus Comedy und Kabarett vereint. „Ich konnte bei dem Wechsel meiner Ausrichtung immerhin schon auf sieben Jahre Bühnenroutine zurückgreifen“, erzählt sie. „Und auf viele Grundlagen. Je länger das Set-Up ist, desto stärker muss der Punch sein – das ist eine wichtige Regel, die ich verinnerlicht habe.“ Derart gerüstet kann Anny Hartmann in den verbalen Krieg gegen IWF und Konsorten ziehen und Aufklärung betreiben. Auf Fehler im System hinweisen. Probleme ansprechen, so wie es Volker Pispers auch tut. Material hat die 44-Jährige genug. „Ich kann einfach nicht mehr weghören“, gesteht sie. Und erfreut sich an kleinen Erfolgen. „Wenn mir jemand in mein Gästebuch schreibt, dass er wegen mir seine Payback-Karte zerstört hat, habe ich schon etwas erreicht.“

Donnerstag, 15.01.2015

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