Ein liedestoller Utopist: Konstantin Wecker blickt auf 40 Jahre Wahnsinn zurück - kultur 110 - November 2014

Konstantin Wecker | Lizenz: Annick Wecker
Foto: Annick Wecker
Konstantin Wecker | Lizenz: Annick Wecker
Foto: Annick Wecker

von Thomas Kölsch
Mit den sadopoetischen Gesängen fing alles an. Vertonte erotische Ergüsse eines damals 26-Jährigen, teils blutig-morbide, teils verklärend-lasziv. Es folgten „40 Jahre Wahnsinn“ für Konstantin Wecker, der bis heute zu den ganz Großen seiner Zunft gezählt wird. Mey, Wader, Wecker, das Trio lyrique der deutschen Liedermacherszene, das Generationen geprägt hat. „Der größte Wahnsinn“, so der gebürtige Münchener, „ist eigentlich, dass ich trotz aller Eskapaden und Probleme bis heute auf der Bühne stehen kann und den Betrieb all die Jahre lang überstanden habe.“ Die Hochs ebenso wie die Tiefs.

Dabei lässt es Wecker mit seinen 67 Jahren nicht etwa ruhiger angehen – ganz im Gegenteil. Tournee reiht sich an Tournee, mal solo, dann wieder im Duo (zuletzt mit der Opernsängerin Angelika Kirchschlager) oder sogar mit seiner Band. Jetzt, zum Jubiläum, schaut Wecker zurück. Und bereut in künstlerischer Hinsicht nichts. Viel gemacht hat er damals ja schon, hat bei „Jesus Christ Superstar“ mitgewirkt („meiner Meinung nach das beste Webber-Musical überhaupt“), Theaterstücke vertont und in Sexfilmen gespielt. „Darüber habe ich ja immer offen geredet“, sagt er. „Einiges davon findet man inzwischen sogar auf Youtube. Meine Söhne haben mal einige Szenen gefunden – wir hatten dann ein sehr lustiges Gespräch“, erinnert sich Wecker. „Heutzutage entlockt so etwas den Jugendlichen ja nur noch ein müdes Lächeln.“ Ganz anders als die kritischen Texte des ewigen Rebellen, die heute noch genau so aktuell sind wie vor 30 oder 40 Jahren. „Nach der Wende bin ich oft als Alt-68er abgestempelt worden
– die Leute glaubten eben, dass man nur ein paar Telekom-Aktien kaufen müsse, dann sei die Welt schon in Ordnung. War und ist sie aber nicht.“ Nur dass der Wahnsinn inzwischen ein anderer sei. „Er ist offensichtlicher und zugleich schädlicher. Diese neoliberale und antisoziale Haltung...“ Da könnte sich Wecker wieder aufregen, er, der die Wut im Bauch hat. Und die Zärtlichkeit auf der Zunge. „Am liebsten würde ich ja nur Liebeslieder schreiben. Aber da spielt die Welt nicht mit.“

Wecker gesteht gerne ein, dass er ein Utopist ist. „Ich glaube, wenn genug Menschen sich eine Welt erträumen, kann die auch irgendwann Wirklichkeit werden. Vor 200 Jahren hat ja auch jeder gedacht, Sklaverei sei ein Teil der natürlichen Ordnung, bis einige anfingen, für die Freiheit einzustehen. Wir haben das Problem zwar bis heute noch nicht vollständig gelöst, man muss nur mal an die Kinderarbeiter in den Entwicklungsländern denken. Aber wir sind auf einem guten Weg.“ Dabei zu motivieren, aber auch auf Missstände hinzuweisen, ist laut Wecker ein Teil der Aufgabe eines Liedermachers. „Es geht ja gar nicht darum, nur politische Lieder zu schreiben und zu kritisieren. Aber gerade in einer Zeit, in der manche Medien nur noch einseitig berichten, können wir die Stimmen der Gegenbewegung sein.“

Dabei ist diese Protest-Haltung nur ein kleiner Teil von Weckers musikalischem Erbe. „Im Gegensatz zu meinen Kollegen bin ich ja weniger von den französischen Chansons oder den amerikanischen Songwritern beeinflusst worden als vielmehr von klassischen Komponis­ten. Mein Vater war Opernsänger, einige große Tenöre meine Helden.“ Vor allem Franz Schubert hat seine Spuren hinterlassen. Ebenso wie dieser stützt Wecker sich auf Gedichte, die er allerdings selber schreibt. „Früher war das ein Trick von mir: Ich dachte, dass die Leute sich meine Texte eher anhören, wenn ich sie singe. Heute könnte ich mir das Leben ohne die Kraft des lyrischen Wortes überhaupt nicht vorstellen.“ Diese Energie nutzt er für sich, filtert mit ihr den Wahnsinn, schickt sie in kreative Kanäle. Und bietet inzwischen sogar Starthilfe: Auf seinem eigenen Label „Sturm & Klang“ veröffentlicht Wecker CDs „junger Wilder“, wie er sie nennt. Darunter ist jetzt auch das Erstlingswerk einer Bonnerin: Die ehemalige Straßenmusikerin Cynthia Nickschas wird von ihm gelobt und gefördert. „Bei meinem Konzert in Bonn wird sie natürlich mit dabei sein“, verspricht Wecker. Für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und für Nickschas? Wahrscheinlich der Wahnsinn.

Mittwoch, 10.12.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 23.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn