Schatten::Frau

draußen

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Bewegendes Schauspiel-Projekt

„Was glaubst du, wer du bist?“, fragt die weibliche Stimme aus dem Kopfhörer, den der Zuschauer zusammen mit einem kleinen Sender während der theatralen Reise trägt. Im Viertelstundentakt macht sich jeweils ein einzelner von den Kammerspielen aus auf den Weg. Als Teil einer Vorstellung, bei der die eigene Identität ins Schwanken gerät. Spricht die Stimme, deren Sätze sich nach und nach im Kopf festsetzen, zu sich selbst oder sucht sie den Dialog mit dem einsamen Zuhörer? Wer ist dieses „du“, das von einem Chauffeur am Steuer eines alten Mercedes zu elegischen Streicherklängen durch das Bad Godesberger Villenviertel gefahren wird? Wer ist diese „Püppi“, die gelernt hat, auf Fragen zu antworten und sich im Dunkeln nicht zu fürchten?
Von Frauen im Schatten der Macht handelt Heinrich Bölls kurz nach seinem Tod 1985 erschienener Bonn-Roman Frauen vor Flusslandschaft. Von 1982 bis 1998 stand Hannelore Kohl als Kanzlergattin im Rampenlicht, erkrankte an einer Licht­allergie und setzte ihrem Schattenleben 2001 selbst ein Ende. Auf sie konzentriert sich die Inszenierung Schatten::Frau von Bernhard Mikaska, obwohl der Text des Bonner Autors Lothar Kittstein keine bestimmte Figur umkreist.
Eine schöne junge Frau im 50er-Jahre Sommerkleid (Kostüme: Almut Eppinger) erwartet den Zuschauer unten am Rheinufer. „Komm näher!“, verlangt sie. Julia Keiling spielt die junge Hannelore – mädchenhaft kokett, schwankend zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Sehr nahe kommen dem Besucher ihr Blick und ihr leuchtend rot geschminkter Mund. Bis die Stimme zum nächs­ten Schauplatz weiterleitet.
Mareike Hein ist die Politikerfrau im eleganten Kostüm mit sturmfester blonder Frisur und eiserner Haltung. Ob man sie bei Staatsempfängen nicht einfach durch eine Puppe ersetzen könne, fragt sie mit leichtem Spott und hakt sich vergnügt zum Spaziergang mit dem Besucher ein. Bis sie plötzlich ins Gebüsch rennt, wo imaginäre Sicherheitsleute jeden ihrer Schritte bewachen. Bis ins Schlafzimmer werde sie von diesen Männern verfolgt, erklärt sie verzweifelt – ohne dabei ihr Puppenlächeln aufzugeben. „Gerade halten, Kinn hoch“, verlangt sie von dem Besucher, der dem unwillkürlich folgt und begleitet von Orgelmusik weiterwandert zur Plittersdorfer Pfarrkirche, wo der Wagen für die Rückfahrt schon wartet.
Der Container neben den Kammerspielen war anfangs leer. Schwarze Lackpumps, ein lässig aufs Bett geworfener Pelzmantel und eine Zigarettenkippe im Aschenbecher deuteten darauf hin, dass der enge Raum (Bühne: Michaela Kratzer) kürzlich noch bewohnt wurde. Nun liegt Birte Schrein als gealterte, depressive Hannelore auf dem Bett. Immer noch mit staatstragender Perücke und Mas­ke, aber selbstverloren wie in einem Albtraum. Man darf sich zu ihr setzen, bevor sie für immer geht und hinter dem Spiegel das Kind mit blonden Zöpfen erscheint, das sie einst war. Zärtlich nimmt das kleine Mädchen seine Puppe mit in den Schlaf, während der Zuschauer in die Wirklichkeit zurückkehrt. Ziemlich verunsichert über seine eigene Rolle zwischen Realität und Illusion.
Man darf durchaus reagieren auf die fiktionalen Dialogangebote der drei fabelhaften Schauspielerinnen, muss es aber nicht. Man kommt ihnen physisch extrem nahe, auch wenn es immer Theater bleibt. Das einsame „du“ zieht einen hinein in die Gegenwart eines „ich“, das notwendig seine Wahrnehmung reflektieren muss. Über die sichtbare Verwandlung einer historischen Figur hinaus ist jede Vorstellung also auch ein irritierendes Experiment mit dem persönlichen Beobachtungsverhalten. Großartig, wenn auch mit viel technischem Aufwand nur für eine kleine neugierige Minderheit. E.E.-K.



Für Menschen mit eingeschränkter Gehfähigkeit oder Klaustrophobie ist die 90-minütige Aufführung ebenso wenig geeignet wie für Jugendliche. Pro Abend können 12 Personen nach persönlicher Anmeldung mitreisen. Bis zu den Sommerferien sind alle Vorstellungen ausverkauft; eine Wiederaufnahme in der kommenden Saison mit einem Kontingent für TG-Mitglieder ist jedoch geplant.

Donnerstag, 30.10.2014

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