Waffenschweine - Kammerspiele - kultur 107 - Juni 2014

Ehre, Freiheit, Vaterland

Ehre, Freiheit, Vaterland

Auf einem Kronleuchter schwebt Germania höchstpersönlich – gerüs­tet mit Schwert, Schild und langem blondem Zopf – vom Bühnenhimmel. „Die Gedanken sind frei“, intoniert die deutsche Amazone, eindrucks­voll verkörpert von Sophie Basse und kommandiert ihre Jungs zur „Fuxjagd“. Nachwuchs werben bedeutet das, ein kleines Glossar im Programmheft informiert über den Sonder-Wortschatz der Korporierten. Mit den akademischen Männerbünden befasst sich das Theaterprojekt Waffenschweine, nach dem im Auftrag des Bonner Schauspiels entstandenen Dokumentarstück Bier, Blut und Bundesbrüder von Gesine Schmidt. Der für seine provokanten Inszenierungen bekannte Regisseur Volker Lösch hat für die Uraufführung in den Kammerspielen mit seinem Dramaturgie-Team (Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und Adrian Jäger) noch weiter im Bonner Verbindungs-Milieu recherchiert. Herausgekommen ist eine streckenweise recht amüsante Revue, der auch die bei der Premiere anwesenden farbentragenden Corpsbrüder viel Beifall zollten.
Löschs Inszenierung differenziert, stellt die Verbindungen nicht einfach in eine rechtsradikale Ecke und hebt die demokratischen Ideale der Urburschenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts hervor. Heinrich von Kleists herbeizitierte kraftmeierisch blutrünstige Germania-Ode spiegelt den Zeitgeist, aus dem der Ruf nach Freiheit, Ehre, Vaterland erscholl. Im Zeitalter der Gleichberechtigung und Globalisierung klingt das ziemlich obsolet. Geblieben ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Orientierung. Nach Orten, wo der Mann noch Mann sein darf und ab und zu die Sau rauslassen. Preiswerte Wohnungen und Unterstützung bei der Karriere sind ein konkretes Angebot. Wichtiger ist jedoch der Halt durch Hierarchien, Rituale und lebenslange Treue. Duelle mit scharfen Waffen sind nicht nur eine Mutprobe, sondern besiegeln die Blutsbrüderschaft. Eine Narbe im Gesicht ist ein Ehrenzeichen wie ein Ritterschlag.
„Waffenschwein“ wünschen sich die schlagenden Studenten auf dem Paukboden. Wie ein riesiger hölzerner Fechtsaal sieht die Bühne von Ausstatterin Cary Gayler aus. Mit Gräben rund um die Spielfläche zur Entsorgung von Relikten mehr oder minder geistreichen Tuns. Für die Sicherstellung der Bierversorgung sorgt ein aus dem Boden wachsender Berg von Gläsern, der so tapfer abgearbeitet wird, dass die acht ansehnlichen Burschen im gemütlichen Teil kurz vor dem Alk-Koma splitternackt orgiastisch durch eine Mischung aus Bier, Blut und Erbrochenem schlittern. Sie sind ja unter sich und am nächsten Tag wieder so aufgeräumt, dass ihre Corpsdamen (dekorative Statistinnen) nichts auszusetzen haben.
Ein wenig infantil erscheint diese auf Elite gepolte Männergesellschaft gewiss. Eine schauspielerisch wirklich tolle Truppe sind dennoch die Burschenschaftler Steffen (Samuel Braun), Ricardo (Daniel Breitfelder), Thorsten (Glenn Goltz), Marvin (Jonas Minthe) und die Corpsstudenten Friedrich (Benjamin Berger), Mark (Benjamin Grüter), Aziz (Norbert Höller), Leopold (Hajo Tuschy) auf jeden Fall. Ganz normale sympathische Typen, die in der feindlichen Welt ihren Mann stehen wollen.
Natürlich bleibt die gefährliche Nähe zu ausländer- und EU-feindlichen Strömungen nicht ausgespart, aber auch die liberale Gegenbewegung kommt zu Wort. Man könnte die Aufführung fast für eine Werbeveranstaltung zum Verbindungswesen halten, wenn sich nicht ständig ein leichtes Gruseln in die fatalen Sprechblasen mischte. Die Kritik bleibt hintergründig, aber ungemütlich kenntlich. Es ist ein kurzweiliger theatraler Blick auf eine exotisch erscheinende Minderheit (in den ca. 50 in Bonn aktiven Korporationen sind nicht mal 2% der Studierenden organisiert, allerdings mit steigender Tendenz), deren ‚Diskriminierung‘ Mutter Germania am Ende bitter beklagt. Und ins Publikum geht, um all ihre Söhne zu begrüßen. Unter Nennung vieler Echt-Namen von „alten Herren“, die Schaltstellen in Politik, Wirtschaft und Medien innehaben. Zugegeben: Andere Seilschaften haben die akademischen Verbindungen längst überholt.
Kein Skandal, keine Proteste, langer Premierenapplaus. Die Vorstellung ist wegen des großartigen Ensembles freilich sehr sehenswert. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1¾ Stunden, keine Pause
empfehlenswert für Zuschauer ab 18 Jahren.

Donnerstag, 16.10.2014

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