Der Traum eine Leben - Oper Bonn - kultur 106 - Mai 2014

Herrscher für eine Märchennacht

Herrscher für eine Märchennacht

Durch Lügen und Gewalt wird Rustan zum Herrscher über Samarkand. Dem ehrgeizigen jungen Mann ist das komfortable Leben auf dem Landgut des reichen Massud zu eng. Auch die Aussicht auf die Vermählung mit dessen Tochter Mirza befriedigt ihn nicht. Er glaubt sich zu Höherem berufen und wird darin von seinem Diener Zanga bestärkt. Mit ihm macht er sich auf in die große Welt, erobert Macht, Reichtum und die schöne Prinzessin Gülnare – bis sein Betrug auffliegt und ihm nur noch der Sprung in den Tod bleibt. Oder das Erwachen aus einem Traum, der ihm ein Heldenleben vorgegaukelt hat, dem er nicht gewachsen war.
Das geträumte Leben oder der gelebte Traum haben in der Weltliteratur eine lange Tradition. Der literarisch hochgebildete Walter Braunfels (1882 – 1954) wählte das gleichnamige Drama von Franz Grillparzer als Vorlage für seine Oper Der Traum ein Leben, die er in Bad Godesberg schrieb. Dort lebte er von 1933 bis 1937, nachdem ihm die Nazis die Leitung der Kölner Musikhochschule entzogen hatten. Die Werke des als „Halbjude“ verfemten Komponisten, der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein Star der deutschen Musikszene war, durften nicht mehr aufgeführt werden. Die in Wien geplante Uraufführung von Der Traum ein Leben unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter scheiterte an der „Wiedervereinigung“ Österreichs mit dem Deutschen Reich 1938. Nach der ersten szenischen Aufführung 2001 in Regensburg ist die Bonner Inszenierung die zweite überhaupt, was bundesweite Premieren-Aufmerksamkeit garantierte und durch eine komplette Radio-Aufnahme auch Geld ins von Sparmaßnahmen gebeutelte Budget des Theaters Bonn bringt.
Hören kann man die vielfarbige Klangwelt dieser Oper unter der leidenschaftlich engagierten musikalischen Leitung des exzellenten Dirigenten Will Humburg am Pult des Beethovenorchesters Bonn also auch im Rundfunk. Der Ton ist trotz der üppigen Instrumentierung und der schwelgerischen Melodik sehr schlank und durchsichtig. Man sollte die Aufführung aber unbedingt auch sehen, denn die märchenhaft opulenten Kostüme von Kristopher Kempf und das Bühnenbild von Hank Irwin Kittel sind eine Augenweide. Der Regisseur Jürgen R. Weber schlägt da eine raffinierte Volte: Die Wirklichkeit findet hinter den Kulissen statt, die Zuschauer blicken bei der Rahmenhandlung auf die nüchterne Rückseite der orientalischen Traumwelt. Ein schelmisches Aperçu sind dabei die beiden lebendigen Faunen, die eine große Rokoko-Uhr flankieren, die genau wie die Bonner Rathaus-Uhr aussieht. Wem die Stunde schlägt angesichts der regierenden Ratlosigkeit, erfährt man jedenfalls als fantastische Theater-Illusion.
Webers Inszenierung unterschlägt die bittere Satire im Märchen vom Aufsteiger und kühnen Schlangen-Töter nicht. Der naive Rustan wird zum gemeinen Betrüger und Mörder. Mit dem Wagner-erprobten Heldentenor Endrik Wottrich ist seine Rolle stimmlich und spielerisch so sensationell gut besetzt, dass man gern seine Schwächen toleriert. Zumal der großartige Bariton Mark Morouse als Ratgeber Zanga seinen Machtinstinkt unwiderstehlich antreibt. Die Sopranistin Manuela Uhl als coole Mirza im schwarzen Hosenanzug und Reiterstiefeln sowie als pompös vom Hofstaat umgebene Traumprinzessin Gülnare lässt keine melodischen Wünsche offen. Der finnische Bassbariton Rolf Broman, seit dieser Spielzeit fest im Bonner Ensemble, überzeugt als Massud und Märchenkönig von Samarkand. Für das tödliche Gift sorgt die Mezzosopranistin Anjara I. Bartz als „Altes Weib“, was ihrer aberwitzig verdoppelten jungen Erscheinung Hohn spricht. Außer einem allerdings wirklich entscheidenden Aufschrei hat Graham Clark (*1941) in der Rolle des stummen alten Kaleb kaum was zu sagen. Dass der international legendäre Sänger noch mal in Bonn auftritt, hat viel mit der Wiedergutmachung an einem durch die faschistische Politik stumm gemachten Komponisten zu tun. Den schnöde umgebrachten zotteligen „Mann vom Felsen“ spielte bei der Premiere der Regisseur unter dem Pseudonym Ludwig Grubert selbst. Normalerweise bevorzugt er eine aparte Kombination von Sonnenbrille und Schottenrock.
Die Inszenierung ist allerdings viel mehr als die Revision eines lange verkannten musikalischen Genies, dessen von einer brutalen Diktatur zerstörte Künstlerexistenz in einer Märchenwelt Zuflucht fand. Braunfels‘ Operntraum ist eine Parabel über die Verführungsmechanismen der Macht und den trügerischen schönen Schein. Ein Ereignis, das man auf keinen Fall verpassen sollte! E.E.-K.


Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. Pause


die letzten Termine:
7.05. // 11.05. // 30.05.

Mittwoch, 08.10.2014

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