Limón Dance Company / Aterballetto / Israel Galván - Tanzgastspiele im Opernhaus Bonn - kultur 105 - April 2014

Tanzhighlights aus Amerika, Italien, Spanien

Vielfalt

Die Musikalität des Körpers war entscheidend für den legendären amerikanischen Tänzer und Choreographen José Limón (1908 – 1972). Die 1946 gegründete Limón Dance Company aus New York pflegt seinen expressiven Stil und seine dynamische Technik weiter. Das Programm, mit dem sie am 19. Februar in Bonn gastierte, war auch eine Hommage an diese herausragende Figur des Modern Dance.
In dem kurzen Ensemble-Stück Etude zur Musik von Franz Schubert, nimmt Carla Maxwell, Limóns Schülerin und jetzige künstlerische Leiterin der Company, die fließenden Bewegungen aus bekannten Werken von Limón auf. Genau 60 Jahre liegen zwischen diesem choreographischen Essay und Limóns 1942 uraufgeführtem empfindsamen Solo Chaconne zur Musik von Johann Sebastian Bach.
Ganz neu ist das kraftvolle, fast burleske Stück Come with me, 2012 für Limón Dance geschaffen von dem Brasilianer Rodrigo Perderneiras. Hier mischt sich witzig Latino-Temperament mit klassischen Ballett-Motiven und frechen Umkehrungen von Rollenkonventionen. Einen absoluten Kontrast dazu bildet Psalm, 1967 von Limón choreographiert. Es ist ein strenges Ritual, das auf der jüdischen Legende von den 36 Gerechten beruht, um derentwillen Gott die Welt nicht untergehen lässt. Der Tanz zu wuchtigen Trommelschlägen und monotonen Gesängen wird zu einer Beschwörung einer verzweifelten Hoffnung auf die Rettung der Menschheit. Trotz aller Virtuosität des ungemein intensiv agierenden Ensembles eine nicht leicht zugängliche Vorstellung.
* * *

Ins pralle Leben griff gleich zwei Tage später das Aterballetto mit seinem erst im Januar 2014 uraufgeführten Werk Don Q. Der Choreograph Eugenio Scigliano, der selbst mehrere Jahre in der renommierten italienischen Company tanzte, interpretiert Cervantes‘ Romanhelden Don Quijote als exemplarischen Träumer auf der Suche nach Schönheit. Schriftzeichen huschen über die berühmten Windmühlenflügel, aus Ritterromanen hat Don Q seine Idee vom Heldentum. Auf einem hölzernen Sessel mit Pferdehufen auf Rollen macht er sich auf die Reise mit vielen aufregenden Begegnungen. Für die nötige Bodenhaftung sorgt der treue Sancho Pansa. Es ist ein sehr sinnliches, erzählerisch witziges Ballett und ein wunderbares Plädoyer für die Phantasie.
Starchoreograph Mauro Bigonzetti, langjähriger künstlerischer Leiter des Aterballetto, übertrifft dieses geistreiche Vergnügen noch mit seinem spektakulären Stück Rossini Cards. In schwarzen Anzügen stellt sich die ganze Truppe auf, bis einer Jackett und Hose abstreift und sich in den Orchestergraben stürzt. Zu den köstlichsten Szenen dieses zehn Jahre alten Werkes gehört ein Festbankett, bei dem die Tänzerinnen und Tänzer am Tisch sitzend ein aberwitzig akrobatisches Ballett veranstalten. Schließlich war der Komponist ein bekennender Feinschmecker, weshalb es auch noch das Rezept für „Maccheroni à la Rossini“ gibt und zu diversen Arien aus seinen Opern herrliche Parodien der klassischen Tanzsprache. Der Pianist Bruno Moretti spielt live Rossini-Passagen, bis schließlich alle einen Anlauf nehmen und sich fallen lassen. Nur der Tänzer vom Anfang springt diesmal nicht. Der Jubel für den gesamten tänzerischen Geniestreich wollte kaum enden.
* * *

Sehr eigenwillig dagegen das Gastspiel des Andalusiers Israel Galván, der als bedeutends­ter Erneuerer des Flamenco gilt. In seinem Stück La Curva reduziert er ihn auf seine Essenz und befreit ihn von allen romantischen Folklore-Momenten. Jede Anmutung von Flamenco-Bar wird auf der Bühne sofort buchstäblich gekippt: Die aufeinander getürmten Metallstühle fallen krachend um, bevor Galván einen tänzerischen Energiesturm entfacht. Er lässt den Boden unter seinen Absätzen vibrieren, präsentiert komplizierte rhythmische Figuren absolut pur und macht seinen ganzen Körper zum Klanginstrument. Seine Hände klatschen auf seiner gelben Lederjacke rasende Wirbel, seine Füße steppen den Klang von Kastagnetten herbei. Bis er lässig die Kurve kriegt und ganz banal nach einem Taxi ruft.
Dazu entfaltet Pianistin Sylvie Courvoisier, Spezialistin für zeitgenössische Musik, an ihrem präparierten Flügel auf Tasten und Saiten ein elektrisierendes Klangspektrum. Ein Urgestein des Cante Jondo ist Inés Bacán, die wie festgewurzelt auf ihrem Stuhl die ursprüngliche Rauheit des Flamenco-Gesangs eindrucksvoll zelebriert, während der mit ihr am Tisch sitzende Compás-Virtuose Bobote (José Jimenéz Santiago) mit seinen Händen den Takt klatscht und schlägt. Wie ein altes Paar aus einer früheren Welt begleiten die beiden den jüngeren Flamenco-Revolutionär. In die atemberaubende Eleganz von Galváns Bewegungen mischen sich Zweifel. „Die Zuschauer sind der Tod“, sagt er plötzlich. Auf einer mit feinem Mehl bedeckten Fläche werden seine Schritte zu einem dumpfen Erdbeben. Wie Aschewolken wirbelt er das Material auf, wälzt sich schließlich barfuß in der weißen Substanz und erinnert an das biblische „Staub seid ihr, und zu Staub sollt ihr wieder werden“.
Bei diesem Todestanz bleibt es jedoch nicht. Am Ende tanzt Galván ein fast zärtliches Duett mit dem väterlichen Bobote. Die Versöhnung zwischen Tradition und Moderne ist möglich.
Drei ganz unterschiedliche tanzdramatische Handschriften gab es also in den letzten Wochen im jedes Mal fast ausverkauften Opernhaus. Schmerzlich vermisst hat das Bonner Publikum nur die in den vergangenen Spielzeiten üblichen kurzen Einführungen vor den Vorstellungen. E.E.-K.

Mittwoch, 17.09.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 12:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn