Ansichten eines Clowns - kultur 104 - März 2014

Bernd Braun in Ansichten eines Clowns
Foto: Thilo Beu
Bernd Braun in Ansichten eines Clowns
Foto: Thilo Beu

Ansichten eines Clowns
in den Kammerspielen: Selbstbildnis des Schauspielers als einsamer Narr



„Ein Clown, der ans Saufen kommt, steigt rascher ab, als ein betrunkener Dachdecker stürzt.“ Einen guten Satz findet das der Mann vor dem eisernen Vorhang. Es ist auch einer der wenigen Sätze, die übrig geblieben sind von Bölls 1963 erschienenem Roman Ansichten eines Clowns in der Inszenierung von Alice Buddeberg. Was vor mehr als einem halben Jahrhundert ein umstrittener Bestseller war, ist 2014 kaum noch der Rede wert. Der „Pflichthass“ auf die junge Bundeshauptstadt Bonn – passé. Die Engstirnigkeit der Adenauerzeit, die alten Nazis in neuen Führungspositionen, der alles verzeihende rheinische Katholizismus – vorbei für immer.
„Wissen Sie, der Anblick von so vielen Menschen ist auch verletzend“, sagt der blasse, glatzköpfige Mann im grauen Unterhemd mit ausgelatschten schwarzen Schuhen an den bloßen Füßen, bevor er sich eine Zigarette gönnt. Er muss viel geraucht und getrunken haben, nachdem ihn seine geliebte Marie verließ, um mit einem Katholiken auf Hochzeitsreise nach Rom zu fahren. Hans Schnier war damals 27 Jahre alt und als Komiker gescheitert. Nun geht er auf die Sechzig zu und heißt Bernd Braun. Es ist sein Solo und damit eine Sternstunde des Theaters. Denn er bleibt nicht stecken im Muff einer Republik aus bigotten Mitläufern und wohlstandsverblendeten Untertanen, die gefällig jeden Ungeist bedienen. Er schlägt listig Brücken durch die Zeit von der Protestbewegung der 1960er Jahre bis zum Mauerfall 1989 und zum elektronischen Überwachungs-Mons­terstaat des 21. Jahrhunderts. Braun spielt karg und leise den traurigen Clown-König, der sich mit Abschminktüchern von aller Maskerade befreit.
Lustigkeit gehört bekanntlich nicht zum Berufsprofil von Komikern. Clowns haben ein beängstigendes Wahrheitspotenzial. Es gibt deshalb auch kein poetisches Gitarre-Zupfen für mitleidige Karnevalsjecken am Bonner Hauptbahnhof. Bernd Braun geht am Ende schlicht aller Spielerei müde ins Nirgendwo hinter dem eisernen Vorhang, vor dem er als Theaterfigur sich selbst ins ungeschminkte Gesicht geblickt hat: Ein Toter, der einen Toten spielt.
Eine höchst lebendige Leiche allerdings ohne viel Böllerei. Aus dem Hintergrund raunt es derweil: „Du kannst es nicht verdrängen, weil du es sofort vergisst.“ Das „es“ bleibt zwar unbestimmt, aber sichtbar wird ein Mensch, der widerwillig seine Rolle spielt. Mit bitterem Humor und beißender Ironie. Das Premierenpublikum, darunter auch Heinrich Bölls Sohn und Nachlassverwalter René Böll, folgte der spannenden Vorstellung hochkonzentriert. E.E.-K.


Spieldauer ca.75 Minuten
keine Pause

Dienstag, 05.08.2014

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