Die Nibelungen - kultur 104 - März 2014

Laura Sundermann u. Hajo Tuschy in Die Nibelungen
Foto: Thilo Beu
Laura Sundermann u. Hajo Tuschy in Die Nibelungen
Foto: Thilo Beu

Die Nibelungen
in den Kammerspielen: Vom Ende der Helden

Die Nibelungen
in den Kammerspielen: Vom Ende der Helden
Siegfried nervt. Alles kann er besser. Natürlich hat er fast im Vorübergehen den Drachen getötet, einen Schatz gewonnen und in Isenland, verborgen unter seiner Tarnkappe, die schönste und stärkste Frau der Welt besichtigt. Sie passte aber einfach nicht in sein Beuteschema. Weshalb er auch gleich bereit ist, König Gunther bei der Eroberung der Königin im hohen Norden zu helfen. Mit einem blinkenden Straßenkreuzer geht’s los ins Reich aus Feuer und Eis. Die Warnungen von Brunhilds Amme Frigga (Sophie Basse), die auch sonst immer wieder mütterlich eingreift, bleiben vergebens. Die Katastrophenmaschinerie, die Friedrich Hebbel in seinem dreiteiligen deutschen Trauerspiel Die Nibelungen (uraufgeführt 1861 in Weimar) beschreibt, ist unerbittlich in Gang gesetzt.
Der gebürtige Isländer Thorleifur Örn Arnasson, ab der nächsten Spielzeit Hausregisseur am Staatstheater Wiesbaden, lässt Hebbel selbst auftreten und die Verse sprechen, mit denen der Dichter das große Werk seiner Gattin widmete. Der Schauspieler Wolfgang Rüter öffnet den Vorhang und wandert als Hebbel durch das fabelhafte Geschichtsgerümpel, mit dem der litauische Bühnenbildner Vytautas Narbutas die Szenerie vollgestellt hat. Es gibt unendlich viel zu entdecken unter dem Kuppelskelett, das das Berliner Reichstagsgebäude herbeizitiert. Arnasson lässt sich ein auf den germanischen National-Mythos und seine historischen Folgen. Und er bleibt sehr nah an Hebbels eigener Distanz zu den Figuren, auch wenn er die Blankverse häufig bricht durch lässige Prosa. Es sind keine Helden, die hier zwangsläufig dem Tod zustreben.
Am Burgunderhof herrscht ätzende Langeweile, bis der großspurige Superstar Siegfried im goldglänzenden Anzug (Kostüme: Filippia Elisdóttir) erscheint. Unverwundbar nach dem Bad im Drachenblut und immer zu Kampfspielen bereit. Hajo Tuschy, äußerlich das Gegenteil des blonden Recken, spielt diesen unbesiegbaren Mann, der urplötzlich der Liebe erliegt. Laura Sundermanns Kriemhild liefert ihm dafür kaum einen Grund. Anfangs hockt sie wie ein verstörtes Mädchen herum, hat gegenüber ihren adeligen Brüdern kaum etwas zu sagen und läuft erst als Rächerin zu tragisch großer Form auf. Beim großen Streit mit der gedemütigten Brunhild (mit eisigem Selbstbewusstsein als Fremde in der höfischen Welt: Johanna Falckner) ist sie eher die eifersüchtige kleine Zicke. Ihr Mann Siegfried hat die keusche Stolze gebändigt (de fakto fürs königliche Bett vergewaltigt) und Bruder Gunther überlassen. Benjamin Grüter spielt großartig diesen königlichen Totalversager, Benjamin Berger seinen kleinen Bruder Giselher, der sich auf dem Sofa mit viel Dosenbier stärken muss, bevor er dem tückischen Mord an Siegfried zustimmt.
Letzterer redet einfach zu viel und kann’s selbst im letzten Moment nicht lassen: „Hab ich euch schon erzählt, wie ich…“. Bis Hagen ihn gewaltsam zum Schweigen bringt, was hier eher Heiterkeit als Mitleid erregt. Glenn Goltz spielt den eitlen Zyniker und Diener der Staatsraison unwiderstehlich brillant. Nach der Tötung Siegfrieds streift Hagen sich das Jackett des Opfers über und tanzt auf der Schatztruhe, die er später im Rhein versenken wird, damit Kriemhild sich kein Heer kaufen kann für einen Feldzug gegen die Mörder ihres Gatten.
Mit hochgerecktem Arm schreit die schwarze Witwe nach dem Gericht, wird wie eine Puppe weggetragen und erscheint menetekelhaft so lange wieder, bis die Burgunder sie schließlich loswerden an den Hunnenkönig Etzel (Andreij Kaminski, der auch als christlicher Kaplan einige Wahrheiten zum politischen Geschäft beisteuert). Für die Musik sorgt Spielmann Volker (Alois Reinhardt), der als zigarettenpaffender DJ für alle Geschmä­cker was auflegt von Pop bis Wagner und sich später mit nacktem Oberkörper auch als Maler betätigt. „Davon geht die Welt nicht unter“, behauptet Zarah Leanders rauchige Stimme.
Sie geht jedoch unter, nachdem Kriemhild schamlos ihr Geschlecht entblößt hat. Für sie gibt es jenseits von Schmerz und Lust nur noch die nackte Wut. Es gibt auch keinen plausiblen Grund dafür, dass das ganze burgundische Nibelungenvolk Kriemhilds mörderischer Einladung auf Etzels Burg folgt. „Mein Freund, wir sind auf deinem Totenschiff“, sagt Hagen zu Volker und zerschmeißt das weiße Steingutpüppchen, das für den Erbfolger steht, den Kriemhild mit dem Hunnenkönig gezeugt hat. Das blutige Massaker wird nur noch angedeutet auf der zwischendurch vom Symbolschrott entleerten Bühne.
Viele Figuren sind gestrichen in der Kammerspielfassung, die trotz etlicher Albernheiten sehr genau den Kern von Hebbels großem Endzeit-Drama trifft. Die Nibelungen sind hoffnungslos dem notwendigen Sterben verfallen. Man weint ihnen keine Träne nach, erlebt aber ein vorzügliches Schauspiel-Ensemble, das die Faszination des Untergangs präsent hält. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden
inkl. einer Pause

Dienstag, 05.08.2014

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