Priit Volmer - kultur 103 - Februar 2014

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Priit Volmer: Mesner in Tosca und König von Ägypten in Aida

„Manchmal spielt das Schicksal mit“, sagt der hochgewachsene blondhaarige Bass Priit Volmer beim Cappuccino. Vor gut anderthalb Jahren probte er gerade an der estnischen Nationaloper in Tallinn, als er eine Mail auf seinem Smartphone erhielt. In Helsinki liefe gerade ein Vorsingen, zu dem er doch kommen solle. Er nahm also die nächste Schnellfähre in die finnische Hauptstadt und war ein paar Stunden später vor Ort. „Ich war völlig entspannt, denn ich hatte keine Ahnung, dass da internationale Agenturen und Opernleute zugegen waren.“ Darunter auch der damals noch designierte Bonner Generalintendant Dr. Bernhard Helmich und ­Christian Firmbach, der künstlerische Betriebsdirektor der Bonner Oper. Kurz danach hatte Volmer einen Vertrag und ist seit dieser Spielzeit Mitglied des Bonner Ensembles. Es ist sein erstes festes Engagement außerhalb von Estland.
Zur Welt kam Priit Volmer 1978 in der Kultur- und Universitätsstadt Tartu. Estland war damals noch Sowjetrepublik. Aufgewachsen ist Volmer in der Hafen- und Badestadt Pärnu, wo sein Vater am dramatischen Theater arbeitete. „Meine Kindheit fand quasi im Theater statt. Eine strenge Sparten- oder Aufgabentrennung gab es nicht. Mein Vater machte die Technik, trat aber auch als Schauspieler und Sänger auf. Weil er eine schöne Stimme hatte und sehr gut aussah, gab er sogar den Danilo in der ­Lustigen Witwe. In Tartu war er im Opernchor und hat vor meiner Geburt dort auch den Mesner in Tosca gesungen. Also die Rolle, mit der ich mich nun dem Bonner Publikum vorstellen durfte.“
Schon Volmers Großmutter väterlicherseits war eine sehr beliebte Mezzosopranistin und trat in Pärnu und Tartu in vielen Operetten auf. Ihr zweiter Mann war ein bekannter Opern-Bariton. Zum Musiktheater zog es den jungen Priit Volmer anfangs dennoch nicht. Er war fasziniert vom Sprechtheater. Als Schauspieler hat er in den letzten Jahren mehrfach in dem kleinen Theater Varius in Tallinn auf der Bühne gestanden. Besonders gern in der Rolle des estnischen Sängers Benno Hansen (1891 – 1952) in dem Drama His Master’s Voice. „Der war zu seiner Zeit ein berühmter Bass. Ich konnte also sowohl singen als auch ein Stück Opernhistorie vermitteln.“
Bei Volmers Entscheidung, Sänger zu werden, hat wieder das Schicksal mitgespielt. „Kurz nachdem Estland erneut selbstständig geworden war, gab es für junge Leute eigentlich nur einen Traum: Big Business. Wenn schon Kultur, dann nur als Marketing-Faktor. Meine als Ärztin tätige, aus einer bodenständigen ländlichen Familie stammende Mutter warnte mich vor dieser Wirtschaftseuphorie und riet mir dringend zu einem soliden Beruf als Künstler. Meistens ist das umgekehrt“, sagt er und lacht. Deutsch spricht Priit Volmer übrigens fließend, obwohl er es nur auf dem Gymnasium gelernt hat. Ganz selten sucht er noch ein Wort im Übersetzungsprogramm seines Handys. Mit seinem ebenfalls aus Estland stammenden Kollegen Hendrik Vestmann, dem neuen Chefdirigenten an der Bonner Oper, spricht er sogar häufiger Deutsch als Estnisch. „Hendrik korrigiert mich dann immer und hilft mir bei der Grammatik.“ Beide haben an der Musikakademie in Tallinn studiert, sich aber erst hier kennengelernt.
Flöte, Klarinette und Saxophon hatte Volmer an der Jugendmusikschule in Pärnu gelernt und wollte sich nach dem Abitur 1996 für eine Ausbildung als Blasinstrumentalist an der nach dem estnischen Komponisten Heino Eller benannten Höheren Musikschule in Tartu bewerben. „Als ich ankam, erfuhr ich, dass die Aufnahmeprüfungen gerade vorbei waren. Eine Bibliothekarin wies mich darauf hin, dass es am nächsten Tag aber noch Termine für Sänger gäbe. Also habe ich meine Gitarre genommen, estnische Volkslieder vorgetragen und bekam einen Platz in der Gesangsklasse.“ Nebenbei wirkte er im Chor der Oper von Tartu mit.
Nach dem Examen zog er nach Tallinn, studierte von 2000 bis 2007 Operngesang an der dortigen Musikakademie, nahm an diversen Meisterkursen teil und war Mitglied im Chor der Estnischen Nationaloper. Schon 2004 wurde er als Solist engagiert und erarbeitete sich ein beeindruckendes Repertoire. Von Alfonso in Mozarts Così fan tutte, Sparafucile in Verdis Rigoletto, Angelotti und Sciarrone in Puccinis Tosca, Mephisto in Gounods Faust, Fürst Gremin in Tschaikowskys Eugen Onegin und mehreren Opern des 20. Jahrhunderts gibt es kaum etwas für seine tiefe Stimme, das er noch nicht auf der Bühne gesungen hat. Großen Spaß machte dem vielseitigen Künstler auch die Titelrolle des Don Quijote in dem Musical Der Mann von La Mancha.
2007 sang er die Rolle des Eichmann in der estnischen Erstaufführung der zeitgenössischen Oper Wallenberg seines Landsmanns Erkki-Sven Tüür. Schon 2004 debütierte er als Leporello in Mozarts Don Giovanni und 2008 als König Marke in Wagners Tristan. Die Isolde sang Irmgard Vilsmaier, die 2011 in Tallinn auch die Kundry war in Wagners Parsifal, in dem Volmer den Titurel sang. 2009 reiste Volmer als einziger Wagner-Stipendiat aus Estland (normalerweise ermöglichen die beiden dortigen Wagner-Verbände es zwei Nachwuchstalenten) nach Bayreuth und erlebte mit großem Interesse den kompletten „Ring“ in der Inszenierung von Tankred Dorst unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann.
Mehrere Preise und Auszeichnungen hat Volmer in seinem Heimatland gewonnen und gastierte u.a. in Riga, Vilnius, Minsk, St. Petersburg und Helsinki, wo er bei einer Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie die Mezzosopranistin Tuija Knightilä kennenlernte, die jetzt in Bonn die Amneris in Aida singen wird. Volmer verkörpert ihren Vater, den König von Ägypten. Die Proben haben Anfang des Jahres begonnen, Volmer ist sehr begeistert von der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dietrich Hilsdorf. In Ägypten spielt auch die Oper Thaïs von Jules Massenet, in der Volmer den alten Zönobiten Palémon singen wird. Bei der Wiederaufnahme der beliebten Zauberflöte-Inszenierung von Jürgen Rose übernimmt er den Sarastro.
Priit Volmer sieht es als große Chance, jetzt in einem Ensemble in Deutschland zu arbeiten. „Nach so langer Zeit an einem Ort wollte ich mich weiterentwi­ckeln. Es genügt nicht, eine gute Stimme zu haben und musikalisch zu sein. Operngesang verlangt immer wieder neue Auseinandersetzungen mit dem eigenen Können und der ganzen Person.“ Für Konzerttätigkeiten hat er im Moment wenig Zeit. Wenn er ein paar Tage frei hat, fliegt er nach Tallinn, wo seine Familie lebt. Seine achtjährige Tochter möchte er möglichst oft sehen. Natürlich nutzt er die Aufenthalte in Estland auch, um mit seinen vertrauten Professoren weiter an seiner Stimme zu feilen.
Sehr gern singen möchte er irgendwann die großen Verdi-Partien. Besonders fasziniert ihn der Philipp in Don Carlos. „Das hat gewiss mit meinem Interesse am Schauspiel zu tun. Zunächst aber hoffe ich einfach, dass das Schicksal mir weiter Glück bringt.“

Donnerstag, 31.07.2014

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