Helmut Kohl läuft durch Bonn - kultur 103 - Februar 2014

Helmut Kohl läuft durch Bonn
in der Werkstatt (Opernhaus): Ulk mit Kanzler



Wer war das eigentlich noch, dieser große Mann in Bonn? Dieser „schwarze Riese“, der schon regierte, als die heutigen Mittzwanziger gerade geboren wurden. Vielleicht war er der Herrscher von Deutschland, das damals noch überwiegend von Saumagen lebte und Monopoly spielte. Oder stieg es wie Phönix aus der Asche des Dritten Reiches und wurde reich, während König Kohl in Bonn die Wacht am Rhein zelebrierte und flugs die ganze Welt vereinigte, weshalb diese bis über die Oder hinaus brüderlich umschlungen sein will?
Vor freundlichen Umarmungen ist jedenfalls kein Zuschauer sicher bei der Vorstellung Helmut Kohl läuft durch Bonn von Nolte Decar. Dahinter verbirgt sich das junge Autorenduo Jokob Nolte (* 1988 in Barsinghausen) und Michel Decar (* 1987 in Augsburg). Die beiden studieren seit 2010 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin und spielen gern mit Wörtern. Regelrecht verliebt haben sie sich dabei wohl in die hübsche Konjunktion „oder“, die alles aus- und einschließen kann. Wenn sie nicht gerade als Fluss auftaucht, was aber bei der grenzenlosen Verwurstung von Wirklichkeitspartikeln nicht viel zur Sache tut. Mit der realen Figur des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl hat das Ganze auch nicht viel zu tun. Dass Nolte Decar nicht gegoogelt haben, nimmt man den Internet-Natives zwar nicht wirklich ab. Um historische Recherche oder gar politische Kritik geht es indes auch gar nicht, sondern um „Erinnerungen“, also eine krude Mixtur von Gedächtnisfetzen aus kindlichen TV-Erlebnissen und allerhand Schabernack.
Christoph Ernst (Bühne und Kostüme) hat zwischen roten Säulen ein wenig 80er-Jahre-WG-Mobiliar platziert. Schlagzeug, Mikros und Kamera gehören selbstverständlich zum Inventar, in dem Regisseur Markus Heinzelmann die Szenenfolge abschnurren lässt. Von „Bonn Corleone“ bis „Citizen Kohl“, Kanzlerduellen mit unterschiedlichen Waffen, Helmut Schmidts unvermeidlichen Menthol-Zigaretten und Gerhard Schröders Sieg beim Wettsaufen. Meistens spielt Sören Wunderlich den mächtigen Kohl, der auch mal als alter Lear sein Reich unter seinen drei (!) Söhnen namens Helmut aufteilt, wobei der treueste mit dem Sauerland abgestraft wird und sich blutig rächt.
Als Narr und extrem überqualifizierte Kanzleramts-Putzfrau fungiert Mareike Hein. Eine hochadelige Herkunft wird dem jungen Kohl auch mal gegönnt, bevor Hannelore ihn in Paris energisch vom Sozialismus zur Christdemokratie bekehrt. Tapfer durch die Kalauerflut schlagen sich neben den bereits genannten die Schauspieler Bernd Braun, Samuel Braun, Robert Höller und Julia Keiling. Letztere hält auch brav die sauberen Handtücher bereit für die putzige Schlacht mit rohen Eiern – Republikfolklore mit furchtlosem Spaßfaktor. Keine Angst übrigens: Selbst die Zuschauer in der ersten Reihe bleiben beim Dottergefecht völlig unbehelligt.
Erhellt wird freilich auch nichts zwischen jelineckischen Textflächen, sinnfreiem Neo-Dada und Studentenjux. „Aufstieg und Fall der Bonner Republik“ aus der Perspektive der Soap-Generation: Helmut Kohl las kein Reclamheft oder kaufte Eier auf dem Bonner Markt oder verlor den Berlinmarathon oder lutschte Bonn-Bonns oder war ein Kolibri aus Mainz…
Fürs Pantheon reicht dieser leidlich amüsante Ausflug des städtischen Schauspiels ins Comedy-Genre gewiss nicht. Bei der Erinnerung an Kresniks rabiat großartige Politfarce Hannelore Kohl kommt echte Wehmut auf. Macht aber nix (ebenso wenig wie die Verrisse, die diesem gründlich verkohlten „Bonnsens“ reichlich zuteil wurden): Am Rhein herrscht längst Karneval. Wer nicht genug Kohle für Prinzenproklamationen hat, kann sich auf den schmerzlos verwischten Spuren Kohls in der Werkstatt einen Orden für „medienkompatible“ Witz-Akzeptanz verdienen. Das harmlos alberne Stückchen aus der Nachwuchsretorte aufgeweckter Schreibtischtäter kam schließlich nicht grundlos in Bonn erstmals auf die Bühne. Einheit, Freude, Eierschmeißen – Schwamm drüber. Entspannter Quatsch mit Birne. Richtig schade, dass sie dieses köstliche Kohl-Markenzeichen glatt vergessen haben.
E.E.-K.



Spieldauer ca. 1¾ Stunden,
keine Pause

Die Nächsten Termine:
4.02., 16.02., 23.02., 18.03., 22.03.14




Weltgeschichte ist dennoch angesagt: Am 28. Januar 814 starb in Aachen Karl der Große. Exakt 1.200 Jahre später beschäftigt sich das Schauspiel um 22.00 Uhr mit ihm und Kanzler Kohl als Vätern Europas. Ebenfalls nach einer Aufführung von Helmut Kohl läuft durch Bonn kann man am 4. Februar was erfahren über „44 Jahre Große Koalition“. Die Bundesrepublik wurde seit 1966 zwar erst sieben Jahre von einer solchen regiert, aber im Theater schaut man nach vorn.

Dienstag, 10.06.2014

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