Der fahrende Schüler ins Paradies / Kälberbrüten - kultur Nr. 27 - Mai 2006

Possenspiele um die menschliche Narretei - Der fahrende Schüler ins Paradies und Kälberbrüten von Hans Sachs im Euro Theater Central

Dass der berühmte Nürnberger Schuhmacher und Meistersänger und von Richard Wagner in den Opern-Adelsstand erhobene Dichter Hans Sachs nicht nur ein gewitzter Wort-Handwerker war, sondern auch ein liebevoll spöttischer Menschenbeobachter, beweist Peter Tömörys vergnügliche Inszenierung der beiden Fastnachtsspiele Der fahrende Schüler ins Paradies und Kälberbrüten im Euro Theater Central, das damit seine mit Boccaccios Dekameron begonnene Auseinandersetzung mit der europäischen Renaissance glänzend fortsetzt.
Hans Sachs hat das bürgerliche Lachtheater von den mittelalterlichen Mysterienspielen und Fastnachtsschwänken emanzipiert. Als heimlichen Vorläufer des Boulevardtheaters präsentiert ihn jetzt das Euro Theater mit den beiden Possen Der fahrende Schüler ins Paradies und Kälberbrüten. Es sind kurze und dramaturgisch nicht übertrieben geschickt gebaute Texte, die erst durch die Realisierung auf der Bühne ihren pfiffigen Drive entwickeln.
Dafür sorgen im Euro Theater die drei Schauspieler, die Hans Sachsens bodenständigen Figuren eine geradezu südliche Leichtigkeit geben, und so heiter tänzerisch mit der Körpersprache der Commedia dell'Arte agieren, dass hinter den derben Possen immer auch das Allgemeingültige der menschlichen Narretei aufleuchtet. Ausstatterin Melinda Lörincz hat dafür nicht nur die hübschen Kostüme geschaffen, sondern auch das schlichte Bühnenbild aus mit schwarzen, flexiblen Stoffstreifen bespannten beweglichen und für so ziemlich alles durchlässigen Stellwänden. Eine verführerisch rote Blume reicht für einen kompletten Bauerngarten und das Muh und Quiek vom Band auch für Stall und Wiese. Die witzige Musikcollage stammt von Mike Weber, der nebenbei auch noch beweist, wie gut sich die Knittelverse von Hans Sachs rappen lassen und wie man sprachlos auf Versfüßen gackernd das absurde Theater in einen völlig verrückten Hühnerstall verwandeln kann.
Julianna Viczián ist die dralle junge Bäuerin, die herzzerreißend singend ihrem ersten Mann nachtrauert. Kein Wunder, dass der lustige fahrende Schüler (herrlich komisch: Daniel Andone) da ein gutes Geschäft für seine dauernd leeren Taschen wittert. Zumal das naive Weibchen statt dem verruchten Paris das Paradies in den Ohren klingelt, wo der fromm Verblichene anscheinend nicht wirklich gut für die himmlischen Freuden ausgestattet ist. Wie da so langsam die Stiefel, der Sonntagsmantel und der Geldbeutel des in jeder Hinsicht geizigen neuen Gatten einen anderen Besitzer finden, der sich dafür zwischen zwei niedlichen weiblichen Beinen sehr irdisch erkenntlich zeigt, ist schlicht köstlich. Dass der brave reiche Bauer (Mike Weber) dem cleveren Wanderstudenten dummerweise auch noch sein Pferd überlässt, ist eine urkomische Verirrung, die dem zu Fuß Heimkehrenden aber immerhin einen Trost einbringt: Seine Gattin würde ihm bei seinem Ableben jede Träne der Welt schenken. Leider hat die paradiesische Unschuld des Paares vorab schon das ganze Dorf zu Freudentränen animiert. Und dagegen hilft nur noch eheliche Solidarität.
Die wird von dem faulen Gatten beim Kälberbrüten auf eine harte Probe gestellt. Julianna Viczián ist diesmal die tüchtige Bauersfrau, die auf dem Wochenmarkt fürs Geld sorgt, während ihr schlafmütziger Gatte (Mike Weber) die Küche ruiniert und ein Kalb im Brunnen ersaufen lässt. Dass er sich zur Schadensbegrenzung wie eine Glucke auf einen madigen Käse hockt, um daraus neue Kälber zu brüten, lässt seine frustrierte Gattin erst mal zum Schnapsbeutel greifen und dann zum feisten Pfarrer (Daniel Andone), dessen geistlicher Beistand aber auch eher auf die Münzen und Ringe schielt als auf die segensreiche Austreibung teuflischer Geister. Für die Rettung der ehelichen Zweisamkeit und gegen die universale Dummheit hilft nur noch eins: „Das Marktgeld wollen wir verzechen und uns zusammen am Weine rächen.“ Nicht der beste Reim der deutschen Literaturgeschichte, aber ganz bestimmt einer, auf den sich die begeisterten Premierenzuschauer ihren eigenen machten. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 100 Min. inkl. Pause

Donnerstag, 18.01.2007

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