Schiller, Tod und Teufel - kultur Nr. 25 - März 2006

Kein Krimi aus dem klassischen Weimar - Schiller, Tod und Teufel im Euro Theater Central

Um Schillers Gebeine ranken sich die schönsten Hintertreppengerüchte der deutschen Literaturgeschichte. Ob seine Knochen drin sind in dem Sarkophag der Weimarer Fürstengruft, ist letztlich ebenso egal wie all die netten Geheimnisse um Mozarts Tod. Dem 200. Todestag des Dichters muss man keine kalorienreichen Mozartkugeln hinterher schießen, dem 250. Geburtstag seines komponierenden Zeitgenossen keine weihevoll geräucherten fetten Schillerlocken. Die Wunde Heinrich Heine (vor 150 Jahren in seiner Pariser Matratzengruft gestorben und ziemlich zuverlässig nicht ermordet) schmerzt etwas tiefer und wird deshalb offenbar auch etwas schlanker gefeiert.
Goethe war von Mozarts Genie begeistert, fand die aufmüpfigen Romantiker widerwärtig, und als der reichlich selbstbewusste 27-jährige Poet Heine 1824 eine Audienz beim 75-jährigen Weimarer Dichterfürsten bekam, hatten die beiden sich nicht viel zu sagen. Goethe war damals längst ein Denkmal seiner selbst geworden; „Les Dieux s'en vont“ (frei übersetzt: Die Götter treten ab), schrieb Heine bei der Nachricht von Goethes Tod. Genau da setzt Peter Brauns Stück Schiller, Tod und Teufel an. Um ganz genau zu sein, im Herbst 1826, nachdem man lange vergeblich im Massengrab nach Schillers sterblichen Überresten gesucht, kurzerhand den größten der 23 gefundenen Schädel zu Schillers Philosophenkopf erklärt und an Goethe ausgeliefert hatte. Die ganzen makabren Details kann man nachlesen, sie tun aber bei der Inszenierung von Alexander de Montléart im Euro Theater Central ebenso wenig zur Sache wie die berühmten Terzinen „Im kalten Beinhaus wars…“ und der peinlich wiederholte Epilog zu Schillers Glocke mit dem berüchtigten „Denn er war unser…“.
Wenn Thomas Franke als alter Herr von G. ächzend eine schwere Kiste ins Weimarer Studierzimmer schleppt, ahnt man, was drinsteckt: Schiller, diese ewig schmerzende Wunde in seinem Leben. Der Freund Schiller, der Konkurrent Schiller, der angebliche revolutionäre Freiheitskämpfer. Schiller mit seinen Räubern, die Goethes Götz zum alten Sturm-und-Drang-Eisen kippten und den jungen Aufsteiger zum Ehrenbürger der Französischen Revolution machten, während Goethe doch schon wusste, welch blutiges Handwerk daraus zu entsprießen drohte. Schiller, der sich als Historiker die Hände nicht schmutzig machte, während der Staatsmann Goethe das dreckige Sterben auf den Schlachtfeldern von Valmy aus der Nähe sah. Schiller, der mit Kabale und Liebe ein kritisches Zeitstück schrieb und sich mit diversen Kabalen und Lieben sein Geld besorgte. Schiller, der spät geadelte Bürger. Schiller mit seinen Krankheiten und dauernden Geldnöten. Gut, Schillers Vorliebe für grüne Tapeten, die damals üblicherweise durch das hochgiftige Arsen ihre Leuchtkraft behielten, mag sein qualvolles Sterben befördert haben. Die praktische Farbenlehre war jedenfalls Goethes ureigenstes Gebiet.
Franke spielt ihn als verbitterten Einsamen, der sich in einem grandiosen Monolog erinnert an all die mehr oder minder komischen Ereignisse in der kleinen Provinzstadt, die kurze Zeit zum geistigen Zentrum der noch längst nicht existierenden Nation, später zur Pilgerstätte der europäischen Elite wurde und viel später Buchenwald neben sich duldete. "Menschen, Goethe, Sensationen" - der Dichter als schillerndes Ausstellungsstück. Goethe, der den Tod hasste, Begräbnisse mied und jeden Gedanken an das notwendige Ende von sich wies, überlebte sich selbst und seine Ideale. Dass seine Frau Christiane Vulpius und sein Sohn August sich zu Tode soffen - muss doch nicht alles seine Schuld gewesen sein. Einmal lässt er sogar mit bitterer Ironie die Marseillaise vom Publikum anstimmen. „Freude, schöner Götterfunken…“ stammt trotzdem von Schiller und wurde durch Beethoven zur Europa-Hymne.
Es ist die Ironie der Geschichte, auf die Schiller, Tod und Teufel im Euro Theater den Blick lenkt. Erst ganz am Ende packt der Schauspieler Thomas Franke den von allen Zuschauern sehnlichst erwarteten Schädel auf einen Bücherstapel und greift vergeblich zur Feder - ein lebendiges Vanitas-Bild, das gelegentlich mit raffiniert über einen Spiegel eingeblendetem und verdoppeltem heroischen Schillerporträt den "farbigen Abglanz" zeigt, der dem Faust-Dichter noch geblieben ist.
Den leicht angefaulten Apfel - Schillers berühmte Duftdroge gehört wohl eher zu den schönen Legenden - wirft der überlebende Dichterfürst einmal sichtlich angewidert aus dem Fenster. Von solch hintergründigen Gesten wimmelt es in dieser spannenden Aufführung ebenso wie von spitzfindig unterlaufenen Zitaten. Thomas Franke mit grauem Backenbart und mächtigem Denkerschädel tanzt leichtfüßig sicher auf dem halsbrecherischen Sprachseil des Textes, gibt ihm einen präzisen Rhythmus und genau die witzig schillernde Selbstironie, mit der Goethe dem Bruder Tod und dem Halbbruder Schiller zwischen Lorbeerkranz und Alltagsirrtümern Paroli bieten konnte. Der blöde Pudel der Schauspielerin Jagemann, der ihn als Theaterintendanten kapitulieren ließ, wurde leider nicht ermordet (alle Tierschützer bitte weghören!), gehört aber wirklich in die Anekdotenkiste der Theatergeschichte. E.E-K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min. ohne Pause

Im Programm bis: ?????

Die Buch-Vorlage ist bei Winkler, Düsseldorf, 2005 - ISBN: 3538071985 erschienen und kann auch im Euro Theater erworben werden (9,90 €).

Donnerstag, 18.01.2007

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