Ein Sommernachtstraum - kultur 37 - Mai 2007

Liebe im Schatten der Alterspyramide - Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare in der Halle Beuel

Eine ziemlich komfortable Seniorenresidenz hat Manfred Blößer auf die große Bühne in der Halle Beuel gebaut: Ein luftig heller Park mit englischem Rasen, weißen Gartenliegen zwischen den Bäumen und Brücken zur sommerlichen Terrasse. Dass drunter kein gepflegter Wassergraben blinkt, sondern die Grube lauert, ist so sinnfällig wie der abgründige Witz, mit dem Regisseur Klaus Weise die Verhältnisse von Alt und Jung umkehrt. Dass er dafür Shakespeares Text neu übersetzt hätte, halten böse Zungen zwar nur für eine tantiementrächtige Behauptung. Zwischen koketten Kalauern, putzigen Stab- und Binnenreimen hüpfen die Versfüße jedoch so friedlich munter durch Schlegelreste und Günther-Plünderungen, dass es ein Vergnügen ist. Auf die tragischen Füße muss man die weltweit berühmteste Shakespeare-Komödie auch gar nicht stellen. Dass der launische Geist so ungefähr in der Körpermitte den Verstand gern mit List und Lust zum Straucheln bringt und oft kopfüber in den Wahnsinn befördert, ist schließlich nichts Neues unter dem Honigmond.
Dass der sich angesichts der demographischen Verwerfungen in der saturierten westlichen Welt im Silbersee der Senioren-Köpfe spiegeln könnte, ist ein ebenso kluger wie böser Einfall, der hier aus dem Schlaf der Vernunft freilich nicht gleich Ungeheuer gebiert, sondern nur einen grotesken Albtraum. Papa Egeus ist ein langhaariger Sohnemann (Arne Lenk), der Mama Hermia den Demetrius aufs Auge drücken will. Klar, die arrivierten Youngsters, die die Pflegekostenlücke füllen, haben ein Wörtchen mitzureden bei den Beziehungskisten ihrer Altvorderen. Leider ist Lysander das Objekt von Hermias Träumen - Anke Zillich mit Rollstuhl und Stützstrumpf liefert eine wunderbar eigensinnige Studie über Altersstarrsinn und unverschämten Lebensmut. Dass Egeus seine widerspenstige Mama zur Strafe in den „Jungfrauendornbusch“ eines Klosters verbannen möchte, muss man nicht allzu ernst nehmen. Zur absurden Glanznummer wird das, wenn sich die bebrillte schöne Helena einmischt, hemmungslos verknallt in Demetrius und plötzlich begehrt von Lysander. Die phantastisch agile Susanne Bredehöft im gelben Mini-Röckchen (Kostüme: Fred Fenner) bringt im Zickenduell die erotischen Nachtgeister zum Tanzen und turnt halsbrecherisch übers Brückengeländer, als ob ihr Amors Pfeil im Nacken steckte. Die grauhaarigen Lover lassen - angestachelt von Pucks Liebeszaubersaft - eher die Sau raus. Michael Rastl als sympathischer Lysander jenseits der besten Jahre bewahrt straffe Haltung, bevor er seinen Kopf zwischen Hermias weiten Schenkeln verliert. Der schnöselige Demetrius Bernd Braun steigt unter Verlust sämtlicher Kleidung Helena nach und beweist mit nackten Vorlust-Liegestützen, dass er noch einiges für weibliches Verlangen zu bieten hat. Was eigentlich niemand so wirklich braucht, zumal die bekannten sommerlichen Liebesverwirrungen hier vom romantischen Herzschmerz arg peinlich zur Lendenpein mutieren.
Theseus und Hippolyta hätten als junges Klinik-Herrscherpaar im weißen Ärztekittel auf dem Sanatoriumsbalkon ihren Spaß an den vom Alterssex gebeutelten Patienten, wenn da nicht gerade einer über ihr Kuckucksnest geflattert wäre. Günter Alt ist ein hinreißend komischer feister Puck, der als „Supermegashowmaster“ seine Fäden spinnt und mit den Tag- und Nachtgeistern zwischen Naivität und Bosheit sein Spiel treibt: drollig, rollig, mollig rattert die Reimmaschine. Raphael Rubino und Xenia Snagowski sind im Sonnenlicht das weltliche Hochzeitspaar, im Mondschein das mythische Elfenkönigspaar Oberon und Titania, dessen Streit um einen hübschen Knaben die Natur aus dem Ruder laufen lässt. Dass der Mond über dem Domizil der Liebesverrück­ten tatsächlich aufgeht, ist das Verdienst des braven Handwerkersextetts. Die Jungs unter der Leitung des wackeren Zimmermanns Squenz (Wolfgang Jaroschka) wuseln von Anfang an mit Leitern und bunten Lichterketten aufgeregt durch die Vorbereitungen der Hochzeitsparty im Senioren-Freizeitpark. Sie sind die wahren Künstler, die das Theater noch wirklich ernst nehmen und deshalb um ihr Leben spielen. York Dippe macht als Schnock aus seinem Zollstock wilde Löwenkrallen, Nito Torres y Soria ist als Flaut und verliebt lispelnde Thisbe mit Luftballonbusen echt tragisch, Arne Lenk und Volker Weidlich assistieren als Schlucker und Schnauz. Die hart umkämpfte Traumrolle hat Wolfgang Rüter als Maulheld Zettel und bizarr von Titanias Liebeswahn gezähmter Esel. Die tragikomische Fallhöhe gehört hier dem animalischen Trieb, dem die zarte Elfenkönigin zwischen Blütenbett und Pappkarton ihren Tribut zollt, bevor sie sich unter der Dusche das ganze Grauen vom ernüchterten Leib wäscht. Die umtriebigen Handwerker haben derweil die Elfenschar als lustige graue Motten gemimt. Irgendwer tanzte mit irgendwem in den Morgen (Schlagercollage und sonstige vergnügliche musikalische Kommentare: Michael Barfuß), der ein herber Abend ist. Hermia wird in die Grube entsorgt, die Männer kloppen ungerührt ihre Karten. Ein Sommernachtstraum mit sanftem Verwesungsgeruch. Weil Totgesagte bekanntlich quietschlebendig ihr Leben verteidigen müssen, ist dieser „Sommernachtstraum“ des Generalintendanten trotz aller Banalitäten eine hochintelligente selbstironische Hommage an die Liebe, die sich aus allen Weltschmerzen und lächerlichen Widersinnigkeiten einen blitzgescheiten Jux macht. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std., eine Pause
Im Programm bis: Dez. 07
Nächste Vorstellung: 29.04.07 - 19.30 Uhr

Dienstag, 08.01.2008

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