Medea - kultur 40 - Oktober 2007

Geschlechterkrieg in Korinth - Medea von Euripides in den Kammerspielen

Die Geschichte der betrogenen Medea und ihrer grausamen Rache beginnt bei Euripides, als sie fast schon zu Ende ist. Und sie spielt sich vor allem in der Sprache ab. In der wunderbar klaren Übersetzung von Hubert Ortkemper, die ohne angestrengte Modernismen die Wucht der Worte für sich sprechen lässt, wird die bei Euripides bereits angelegte Entmythologisierung der Tragödie noch zugespitzt. Klaus Weise lässt in seiner Inszenierung der Medea des Euripides die Geschichte denn auch weitgehend statisch erzählen, ohne die Handlung realistisch zu illustrieren. Er entwickelt aus den massiven Szenenblöcken eine strenge Geometrie der Gefühle, in der die Figuren stets neu ihre Positionen einnehmen, sich immer wieder zum Publikum wenden und nur selten interagieren. In den besten Momenten der kurzen Vorstellung gewinnen sie dadurch - unterstützt durch die das Geschehen rhythmisch raffiniert strukturierende Bühnenmusik von Michael Barfuß - eine geradezu archaische Intensität.
In dem kühlen Bühnenbild von Manfred Blößer fahren meterhohe Wände auf Schienen bedrohlich vor und zurück, geben manchmal nur einen schmalen Zwischenraum frei, sind brutal geschlossene Mauern oder öffnen sich im präzisen Licht von Thomas Roscher für fremde Blicke und Lauscher. Doch der eigentliche Blick richtet sich nach innen: weniger psychologisch ins Herz als auf eine unausweichliche Rationalität im Kopf. Kornelia Lüdorff als Medeas Amme ist mit ihrem „Ach“ sofort präsent, wenn sie im Konjunktiv (ein genialer Kunstgriff des Euripides!) die Vorgeschichte erzählt: Was wäre, wenn ihre Herrin sich im fernen Kolchis nicht in den schönen griechischen Argonautenführer Jason verliebt hätte, ihre Familie nicht verlassen, ihren Vater nicht verraten, ihren Bruder nicht geopfert, die Töchter von Jasons Onkel Pelias nicht zur Ermordung ihres alten Vaters angestiftet und ihrem geliebten Gatten nicht zwei Söhne geboren hätte? Sie lächelt dabei ab und zu in sich hinein, als ob sie aus der Vergangenheit noch ein mögliches Glück hervorholen könnte.
Wenn die verzweifelte Medea aus der bleiernen Hütte am Bühnenrand mehr torkelt als tritt - einen Schuh wie eine Waffe in der Hand - ist klar: Es gibt kein Zurück mehr, sondern nur noch die unaufhaltsame Katastrophe. Xenia Snagowski ist als Medea ein Ereignis: Wie sie allen Frauen das ewige weibliche Elend vorführt, am ganzen Körper vor Wut zitternd, aber mit einer geistigen Schärfe und einem rigorosen Stolz, der jeden Feldherrn zum lächerlichen Würstchen degradiert, hat große Klasse und lässt bereits ahnen, dass sie die „Mitgift“, mit der frau an die Männer verkauft wird, durchaus als „mit Gift“ begriffen hat. Sie leidet und tobt wie ein verwundetes Tier, sie kennt ihre intellektuelle Überlegenheit, ihr geheimes Wissen, ihre erotische Verführungskraft, ihr mörderisches Verhängnis, ihre unüberwindliche Fremdheit in der Welt des griechischen Patriarchats. Sie kämpft dagegen mit sich selbst und weiß, dass sie als Siegerin tatsächlich alles verlieren wird: ihre Liebe, ihre Kinder und jedwede Heimat. Sie ist die gedemütigte Frau und Mutter, verteufelt human und liebevoll grausam. König Kreon (Bernd Braun als von der stählernen seitlichen Treppe gebeugter Herrscher), dem Vater von Jasons neuer Braut, der das Sicherheitsrisiko Medea durch Verbannung aus seinem Reich ausschalten möchte, kriecht sie wie eine Schlange um die Beine. Die Farbsymbolik der modernen Kostüme von Fred Fenner ist deutlich: Weiß für die im Grunde unschuldige griechisch abendländische Kreon-Welt, sinnliches Braun und Gold für das aus Medeas Morgenland mitgebrachte Dienstpersonal, strenges Schwarz und Silber für die neue Familie der Medea, Bunt für den Chor, der erst mal wie eine groteske Strandtouristinnen-Schar mit riesigen weißen Sonnenhüten, knappen Shorts und albernen T-Shirts auftaucht, bevor er mit denselben Kleidern, wie Medea sie trägt, weibliche Solidarität demonstriert.
Tanja von Oertzen ist die ältere, erfahrene Chorführerin, Sinead Kennedy die quirlige junge Gegenstimme, Eva Müller raunt, wispert und quietscht Unverständliches aus der mikroverstärkten Menschensprache zu den Göttern, was leider ebenso komisch wirkt wie Peter Nitzsches sportlicher Auftritt als Erzieher mit absonderlichem türkischem Gastarbeiter-Deutsch oder -griechisch, bei dem „Mutti“ schlicht Eheprobleme hat. Raphael Rubinos sophistische Jason-Politik, mit der er seine lukrative neue Flamme als im Grunde seiner ehemaligen Gattin nützlichen Schachzug verteidigt, gerät fast zur „Rosenkriegs“-Lachnummer. Medea hat längst fest beschlossen, dass Braut und Brautvater Jasons Liebesverrat ebenso wenig überleben werden wie die gemeinsamen Kinder. Am Ende stehen die kleinen Schuhe der von ihrer Mutter eigenhändig ermordeten Söhne da (es war schließlich Euripides, der Medea die Schuld an deren Tod in die Schuhe schob), und zwei Kinderfüßchen baumeln unter dem Bühnenschleier hervor, wo Medea am Boden zerstört ihren Schlussmonolog zelebriert. Dieses Bild geht entschieden tiefer unter die Haut als Euripides' ironischer Rettungsversuch seiner Medea durch den Drachenwagen ihres göttlichen Großvaters Helios. Setzt aber eine emotionale Tiefendimension frei, die die menschlichen Abgründe der antiken Tragödie auf eine hoch reflektierte zeitgenössische Ebene hebt, ohne sie zuzuschütten. Absolut sehenswert! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 85 Min., keine Pause
Im Programm bis: ????

Donnerstag, 09.12.2010

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