Die Brüder Löwenherz - kultur 39 - September 2007

Ein Traum vom Leben - Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren im Jungen Theater

Es gibt Dinge, die man einfach tun muss, um kein Nichts zu sein. Und auch nie eins zu werden. Z.B. die Angst vor dem Sterben durch Geschichten überwinden. Weil das Erzählen zwar nicht die Endlichkeit des Lebens aufheben, aber die Zeit zum Raum machen und die Grenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft neu definieren kann. Vielleicht sind also alle Abenteuer in Nargijala nur ein Traum, der immer wieder neu beginnen kann. Vielleicht hat Jonathan seinen kleinen Bruder nur in eine tolle Geschichte entführt, um ihm das endgültige Einschlafen zu erleichtern. Weil der Tod nicht die Negation der Lebenslust sein muss.
Astrid Lindgrens Roman Die Brüder Löwenherz handelt vom Tod und der Angst davor. Aber vor allem erzählt er von der großen Hoffnung jenseits aller Schmerzen und von der Möglichkeit, mit der unvermeidlichen Erfahrung des Sterbens zu leben. Der Regisseur Marco Dott nimmt in der Bühnenbearbeitung, die er gemeinsam mit Moritz Seibert für das Junge Theater Bonn erarbeitet hat, die Geschichte von den Brüdern Löwenherz sehr ernst. Er zeigt mit dem Mut zu stillen Momenten sensibel und anrührend die Entwicklung von Gefühlen und die Macht der Phantasie, die den beiden Kindern einen Lebenstraum ermöglicht. Dafür hat Laurentiu Tuturuga ein traumhaft schönes Bühnenbild aus luftigen weißen Stoffbahnen und variablen dunklen Holzelementen entworfen. Ein expressives Farbenspiel liefern Videoprojektionen (Lichtgestaltung: Clemens Gorzella), die nichts realistisch abbilden, sondern als bewegte Wasserspiegelungen sanft dahinströmen wie der Lethefluß. Diese fließende Grenze zwischen Leben und Vergessen müssen die Brüder nämlich überwinden, um in Nargijala, dem Land der zeitlosen Sagen und Märchen, eine neue Heimat zu finden.
Der junge Jonathan Löwe kümmert sich liebevoll um seinen kleinen todkranken Bruder Karl, genannt Krümel (mit unglaublicher spielerischer Intensität: Bazon Rosengarth alternierend mit Patrick Morschhaeuser). Krümel hat erfahren, dass er nicht mehr lange leben wird. Jonathan berichtet ihm vom kühnen König Richard Löwenherz und vom wunderbaren Land, wo sich die Gestorbenen wieder treffen. Felix Hütter (in anderen Vorstellungen sein Bruder Roman Hütter, beide haben schon in etlichen Inszenierungen des JTB mitgewirkt) spielt diesen Jungen wunderbar differenziert zwischen Mitleid, unmittelbarer Zärtlichkeit und tapferer Selbstbehauptung. Nach Nargijala wird er seinem kleinen Bruder vorausgehen: Bei einem Wohnungsbrand rettet er ihn und kommt dabei selbst ums Leben. „Jonathan Löwenherz“ ruft ihm seine Geschichtslehrerin (Giselheid Hoensch, wie fast alle aus dem Erwachsenen-Ensemble des JTB in mehreren Rollen zu sehen) am Grab nach. Mit dieser merkwürdig unwirklichen Szene beginnt - dramaturgisch sehr geschickt - der Sprung von der bitteren Gegenwart in eine bunte Märchenzeit.
Die Wiedersehensfreude im paradiesischen Kirschtal ist groß. Im himmlischen Wirtshaus herrscht Hochstimmung (Kostüme und Ausstattungsleitung: Brigitte Winter). Doch auch in der schönen neuen Welt der Vergangenheit gibt es Gut und Böse, Leben und Tod. Im Heckenrosental herrscht der grausame Tengil mit seinem schrecklichen Drachen Katla und droht, auch die Menschen im friedlichen Kirschtal zu versklaven. Eine Widerstandsbewegung hat sich in beiden Tälern gebildet; irgendjemand fängt jedoch die Brieftaubenbotschaften der Freiheitskämpfer ab. Jonathan will seinen neuen Freunden helfen und macht sich auf den gefährlichen Weg in Tengils Reich. Die kluge Sophie (Andrea Brunetti) und der ruppige Jäger Hubert (Jan Herrmann) sind treue Verbündete. Dass Tengils teuflische Schergen (als böse, aber nicht übertrieben intelligente schwarze Ritter des Bösen: Jan Herrmann und Michael Mühl) trotz ihrer brutalen Brandmarkung des zwielichtigen Jossi (Sören Ergang) die Freiheit nicht aufhalten können, liegt an dem gutherzigen alten Matthias (Peter Devo Neumann), der sich für die tapferen Brüder opfert. Und an Jonathan, der mit seinem Löwenmut am Ende alle Gegner der Freiheit besiegt, jedoch kein mörderischer Prinz-Eisenherz-Star sein will. Aber vor allem an Krümel, dessen furchtsames Hasenherz beim Kampf gegen die hartherzigen Unterdrücker zum Löwenherz wird. Doch: Er hat Angst, wenn er mit seinem von Katlas Drachenglut tödlich gelähmten großen Bruder ins Land Nargilima springt, wo die in Nargijala Gestorbenen leben. Die Trauer und der Schmerz bei Krümels in die Bühnengegenwart zurückgeholtem Tod sind wirklich und werden hier auch nicht verleugnet. Ehrlich und ohne jedes falsche Pathos. Aber mit einem klaren, keineswegs mystifizierenden Blick darauf, dass das Theater Lebensmöglichkeiten öffnen kann. Komische, wütende und schreckliche. Weil es manchmal Dinge gibt, die man tun muss, um ein Mensch zu bleiben. Genau deshalb sollte man Die Brüder Löwenherz im JTB auf keinen Fall verpassen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 105 Min., inkl. Pause
Im Programm bis: ????
Für Zuschauer ab 7 Jahren.

Dienstag, 18.12.2007

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