Elektra - kultur 55 - März 2009

Blutrausch und morbide Sinnlichkeit - Elektra von Richard Strauss in der Oper

Die Vorgeschichte war blutig. Hinter der hohen transparenten Palastfassade von Mykene sind schwarz gerüstete Männer damit beschäftigt, die Spuren zu beseitigen und die Zeichen des Gemetzels von der Wand abzuwaschen. Eine, die nicht vergessen kann und will, ist Elektra, Tochter des ermordeten Königs Agamemnon. An seinem in einem schwarzen Plastiksack im Vordergrund hingestreckten Leichnam beschwört sie täglich zur Stunde seines Todes, als ihre Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Aegisth ihn mit einem Beil erschlugen, die offene Wunde, die nach blutiger Sühne verlangt.
Barbara Schneider-Hofstetter singt die halsbrecherische Partie – eine der anspruchsvollsten der gesamten Opernliteratur – einfach grandios. Ihr dramatischer Sopran bewältigt alle Extreme mit stupender Sicherheit, klingt immer voll und schön und leuchtet den Text (Hugo von Hofmannsthals Fin-de-Siècle-Sprachfinessen werden als Übertitel eingeblendet) bis in feinste Nuancen aus. Ihre Elektra ist weniger die verbitterte Ausgestoßene, die in ihrem Wahn vor sich hinvegetiert, sondern die starke stolze Prinzessin, die mit ungeheurer Energie ihr Ziel verfolgt. Ihre Weiblichkeit hat sie (mit struppigem dunklem Kurzhaar eine leicht androgyne Erscheinung) zugunsten ihrer Hingabe an den toten Vater geopfert. Sie liebt ihn abgöttisch, weil sie ihre Mutter nur verachten kann. Klaus Weises Inszenierung lässt sie aus ihren Seelenzuständen heraus agieren, untersucht präzis die psychologischen Triebkräfte ihres Verhaltens und setzt ansonsten auf die archaische Wucht des Geschehens. Er erzählt es mit wenigen starken Bildern – auf der streng gegliederten Bühne von Martin Kukulies öffnet sich die wuchtige Palastwand nur gelegentlich zu einem Innenraum mit schräg nach oben gekippten Gitterrosten – und vertraut ansonsten zu Recht ganz der Musik.
Deren berauschenden Todesduft macht Stefan Blunier am Pult des in riesiger Besetzung fantastisch dynamischen Beethoven Orchesters zu einem Klangereignis mit hohem Suchtpotenzial. Richard Strauss’ vielfarbiges Tongemälde glänzt hell und schimmert dunkel, wechselt von schriller Rohheit zu sanfter Harmonie, von rasenden Sturmläufen und emotionalen Explosionen zu schneidender Ironie und gefährlichen Ruhemomenten. Blunier hält jeden Faden in diesem Gewebe sorgsam in der Hand, macht Motivlinien und Zwischentöne hörbar, führt einzelne Instrumentalstimmen durch brodelnde Strudel und über messerscharfe Klippen. Man könnte die Augen schließen und trotzdem allein aus dem Orchestergraben die ganze Geschichte bis zur finalen Implosion miterleben.
Was freilich angesichts der sängerischen und darstellerischen Qualität des Ensembles auf der Bühne nur ein halber Genuss bliebe. Ann-Marie Backlund ist Elektras jüngere Schwester Chrysothemis mit wundervoll blühendem lyrischem Sopran und dem Traum von einer friedlichen Welt ohne ewigen Hass und brutale Lebensverweigerung. Daniela Denschlag liefert mit ihrem beweglichen tiefen Mezzosopran eine großartige Charakterstudie: Ihre Klytämnestra ist eine erotisch höchst präsente, machtbewusste Frau, die genau weiß, was sie warum tut. Sie ist eine echte Gegenspielerin Elektras, kein harmloses altersgeiles Flittchen eines dahergelaufenen Schönlings, sondern eine kühne Liebeskämpferin. Das versteinerte Herz ihrer Tochter möchte sie ehrlich erweichen. Doch im Hintergrund tickt unerbittlich die Zeitbombe Orest. Die Nachricht vom Tod ihres verbannten Sohnes lässt Klytämnestra irrsinnig triumphieren und Elektra knallhart zum Beil greifen.
Mark Morouse als totgesagter, aber sehr lebendiger Orest nimmt mit feinem Bariton in der Erkennungsszene mit seiner Schwester die Waffen auf und seine Mutter pflichtschuldig unters Messer. Dass der ahnungslose Aegisth (der Tenor Mark Rosenthal als glatzköpfige Greek-Lover-Karikatur) auch dran glauben muss, gehört zum Rache-Geschäft.
Wirklich kostbar ist die Besetzung der weiblichen Dienerschaft, von Kos­tümbildner Fred Fenner mit skurril verknotetem Kopfschmuck bis zur Unkenntlichkeit ausgestattet: Als bunte Mägde fungieren Anna Virovlansky, Julia Kamenik, Anjara I. Bartz, Ramune Slizauskiene und Elisabeth Hornung; als coole, schwarz gewandete Aufseherin sorgt Sigrún Pálmadóttir für Zucht und Ordnung. Der Opernchor hat außer den kurzen „Orest“-Rufen hinter der Szene nicht viel zu tun. Auch wenn Elektra sich nach Vollendung ihrer Lebensaufgabe eher leise selbst auslöscht – die Spuren ihrer Wut brennen sich nach dieser Aufführung unwiderruflich ein. Zu Elektras ekstatischem Ende prasseln schwarze Leichensäcke auf die Bühne. Das Töten geht bekanntlich weiter…
Musikalisch hat sich Strauss nie wieder so weit vorgewagt. Mit Elektra begann jedoch 1909 eine äußerst fruchtbare Beziehung zwischen dem Komponisten und dem Dichter Hugo von Hofmannsthal. Exakt 100 Jahre später haben der neue Bonner Generalmusikdirektor Stefan Blunier und der seit 2003 amtierende Bonner Generalintendant Klaus Weise ein Signal für vielversprechende weitere gemeinsame Projekte gesetzt. Dass die Regie sich gegenüber der großen Musik eher klein machte, sollte man als noblen Respektsbeweis sehen. Der Premierenbeifall für alle Beteiligten war nach einigen Schrecksekunden fulminant. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1 ¾ Std., keine Pause
Im Programm bis: 3.07.09
Nächste Vorstellung: 27.02.09

Samstag, 02.01.2010

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