Ramifications/Métamorphoses nocturnes/3 - kultur 54 - Februar 2009

Mit dem Körper musizieren - Ramifications/Métamorphoses nocturnes/3 von ballettmainz

„Musik und Bewegung müssen sich kennenlernen“, schreibt der junge Mainzer Choreograf Nick Hobbs. Der ungarische Komponist György Ligeti: „Wichtig für meine Musik sind komplexe Strukturen – Ordnung, Chaos, Labyrinth...“ und der Mainzer Tanzcompany-Chef Martin Schläpfer fügt hinzu: „Ich würde sagen, dass meine Tänzer inzwischen musizieren können, das ist für mich auch Tanz, Handlung – mit dem Körper zu musizieren...“
Auf diese Weise beschreiben alle drei einen Ballettabend, der in dieser Aufeinanderfolge nicht nur zum ersten Mal in Bonn – als Gastspiel des Staatstheaters Mainz –, sondern überhaupt in dieser Zusammenstellung zum ersten Mal gezeigt wurde.
Untersucht man die Aussagen der Künstler und beobachtet die hohe Konzentration, Ernsthaftigkeit und Strenge, die die Tänzer ausstrahlen, dann ist man versucht, zu glauben, einer konzeptionellen Idee auf der Spur zu sein.
Denn so wie es mit Ligeti kein Zurück mehr in die harmonisch-melodisch heile Welt der romantischen Klassik gibt, so klingt in seinen von abstrakten Gedanken getragenen Kompositionen für Streicher doch immer wieder die Klage über den Verlust derselben durch. An dieser Stelle scheinen die Choreografien Schläpfers und Hobbs’ anzuknüpfen. Die Körpersprache sucht in der bisweilen spröden musikalischen Begleitung die Kraft zur fließenden Bewegung und zur äußersten gespannten Pose.
In Ramifications, dem ersten der drei gezeigten Tanzstücke, gibt es eine Tänzerin in einem einsamen Bühnenraum. Marlúcia do Amaral zeigt eine von größter Konzentration geprägte Auseinandersetzung mit allem, was scheinbar ihre fließenden Bewegungen, ihre ausdrucksstarke Körpersprache behindert. Mal scheint es die Musik zu sein, ein anderes Mal die Fremde des Raumes und wieder ein anderes Mal liegt die Behinderung in ihr selbst. Doch sie überwindet sie und „explodiert“ mit faszinierender Leichtigkeit.
In den Nächtlichen Metamorphosen von Nick Hobbs (mit dem Streichquartett von G. Ligeti) geht es strukturierter zu: sowohl in der Musik, als auch auf der Bühne. So wie Ligeti hier mit dem Wechsel der Tempi und Stimmungen arbeitet, gelegentlich überschaubare rhythmische Strukturen erlaubt, so formieren sich die 16 Tänzer in verschiedenen Formationen vom Solo bis zum großen Ensemble. Auch sie strahlen eine große Ernsthaftigkeit aus, kaum ein einziges Lächeln, ihre hohe, angespannte Konzentration sucht auch hier jede Faser der Musik zu nutzen, um daraus Kapital für die Entfesselung der eigenen choreografierten Körpersprache zu finden. Und auch hier ist für die Leichtigkeit, mit der das gesamte Mainzer Ensemble dies umsetzt, größte Bewunderung zu zollen.
Im dritten Stück des Abends, 3 – wieder von Martin Schläpfer –, erreicht die „Konzeption“ eine neue Stufe. Die Musik bewegt sich zunächst ausschließlich in Abstraktionen zwischen Geräusch und Klang, selbst Ligetis Melancholie hat sie hinter sich gelassen. Doch in Schläpfers Choreografie wirkt dies nicht mehr als Widerstand, jetzt fließen die Bewegungen, erreichen bisweilen Ausbrüche ekstatischer Miniaturen. Dieses Mal zieht die Entfesselung des Tanzes die Musik mit sich – „Die Tänzer musizieren“ – und dann schwingt sich die musikalische Abstraktion (live Cello: Paul Pavey) in minutenlange meditative Quintparallelen, als fände sie einen neuen Anfang. Und genau in diesem Moment, am Schluss des Stückes, setzt sich Schläpfers Choreografie nicht emphatisch auf das musikalische Geschehen oder verfällt ihm, sondern kontert, indem die Tänzer ihre Körpersprache wandeln und diesen Klängen und Cellofiguren mit ihren Körpern einen Rhythmus geben.
Ein von solchem Ernst und künstlerischer Meis­terschaft getragener Abend darf sich im besten Sinne des Wortes mit dem Prädikat „avantgardistisch“ schmücken. hek

Einmaliges Gastspiel in der Reihe „Highlights des Internationalen Tanzes“.

Samstag, 02.01.2010

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