Das Pariser Leben - kultur 53 - Januar 2009

Im Räderwerk der Spaßgesellschaft - Das Pariser Leben von Jacques Offenbach in der Oper

Reisen bildet. Wobei die Bildungsziele des schwedischen Barons de Gondremarck und seiner Gattin nicht ganz identisch sind. Ihre Reise mit allen möglichen Verkehrsmitteln inkl. Ankunft mit dem TGV mitten im „Pariser Leben“ ist zur Ouvertüre ein flottes Vergnügen. Für ein solches sind auch die munteren Pariser Herren Bobinet und Gardefeu immer zu haben, selbst wenn ihre Freundschaft durch ihre amourösen Verhältnisse leicht getrübt wird. Die aktuell von beiden geliebte Metella lässt sie schnöde auf dem Bahnsteig stehen und macht sich mit einem reichen Brasilianer davon. Woraufhin Gardefeu flugs seinem ehemaligen Diener, der inzwischen zum Fremdenführer beim Grand Hotel avanciert ist, das adelige Skandinavier-Paar abkauft und in seiner Wohnung einquartiert, wobei sein Interesse natürlich vor allem der Baronin gilt.
Offenbachs Operette Das Pariser Leben, in der der Komponist zum ers­ten Mal seine Gegenwart unmittelbar auf die Bühne brachte, erschien 1866, ein Jahr vor der zweiten großen Pariser Weltausstellung. Paris wurde zur Metropole der Fortschrittseuphorie und zog Touristen aus aller Welt an. Außerdem war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Epoche der technischen Beschleunigung. Ein bisschen mehr Tempo könnte Andrea Schwalbachs Inszenierung der lustigen Verwirrungen in den ersten beiden Akten der Operette allerdings auch gebrauchen. Im raffinierten Bühnenbild von Anne Neuser drehen sich die vielen mechanischen Zahnräder schneller als die Handlung, die trotz witziger Einfälle anfangs ziemlich zahnlos bleibt. Bissigen Esprit und prickelnde Laune verbreitet freilich vom ersten Moment an das Beethoven Orches­ter unter der Leitung von Wolfgang Lischke. Wenn nach der Pause die grauen Maschinisten zu Pariser Salonlöwen und mehr oder minder leichten Damen mutieren und schließlich bei einer Eisrevue ins Rutschen geraten (rasante Choreographie: Rafaële Giovanola), kommt die Sache freilich mitreißend in Schwung.
Einen erheblichen Anteil daran hat Günter Alt als pompöse Madame de Quimper-Karadec im glitzernden großen Schwarzen und üppigen weißen Pelz, die den durchgeknallten Jungs die Möbel zurechtrückt und die naive Baronin (entzückend: Nina Vodop’yanova) endgültig von den Wonnen der Pariser Nächte überzeugt.
Der Baron (sehr blond, sehr trocken und mit gelben Gummistiefeln für den Sündensumpf an der Seine gerüstet: Roland Silbernagl) muss für solche Einsichten durchaus Lehrgeld zahlen. Die temperamentvolle Metella, deren heißer Ruf anscheinend vom Amazonas bis zum Nordpol reicht (sündhaft schön und stimmlich perfekt: die Mezzosoporanistin Anjara I. Bartz), fertigt ihn reichlich kühl ab. Eine selbstbewusste Halbwelt-Carmen (das Libretto zu Offenbachs Operette schrieb das Autoren-Duo Meilhac/Halévy, das später auch den Text für Bizets Oper Carmen verfasste) und Königin der Pariser Spaßgesellschaft. Die schiefen Eiffelturm-Kronen (klar, das stählerne Mons­trum prägt erst seit 1889 die Silhouette der französischen Hauptstadt) sind ein augenzwinkernder Anachronismus, und das romantische Paris ist eine Fiktion, die Klaus Brantzen als Schuster Frick mit seinem Musette-Akkordeon für die vergnügungssüchtigen Fremden hübsch aufmischt. Wobei ihm Julia Novikova als kleine Handschuhmacherin Gabriele liebenswürdig hilft. Ihr feiner Koloratursopran und ihr großer Auftritt als trauernde Generalswitwe sind ein Highlight bei Gardefeus improvisierter Table d’Hôte. Tansel Akzeybek spielt und singt den eleganten Lebemann äußerst charmant.
Klar, dass Bobinet (Paul Brady) als Gastgeber der nächsten Soirée seinen Freund noch übertrumpfen muss. Wie da die herrlich kitschigen Kulissen auch noch die Garderobe liefern (Kostüme: Stephan von Wedel) und die ganze Gesellschaft im Champagnertaumel versinkt, ist einfach köstlich. Als Mann für alle tenoralen Fälle erweist sich der fröhliche Brasilianer (Mark Rosenthal), der sich überall herumtummelt. Bobinet macht selbst mit geplatzter Admiralsuniform noch gute Figur, blendend unterstützt von der koketten Pauline. Julia Kamenik bringt nicht nur parodistischen Opernglanz in die Partie, sie ist singend und tanzend der Star der wilden Party, an deren Gelingen vier kesse Mädels (aus dem Bonner Opernchor: Marianne Freiburg, Ulrike Gmeiner, Brigitte Jung, Jeannette Katzer) beachtlichen Anteil haben. Spielfreudig präsentiert sich ohnehin der ganze Chor unter der Leitung von Ulrich Zippelius, und für witzige Turbulenzen sorgt zudem das sechsköpfige Tanzensemble. Da fliegen die Beine und diverse Kleidungsstücke, wobei der Baron in nicht übertrieben erregender Unterwäsche wenigstens üben darf, wie man der lockeren Damenwelt an die Wäsche geht.
Bis Madame de Quimper-Karadec dem lasterhaften Treiben abrupt ein Ende macht und in einer sehr weiblichen Allianz mit Metella und der schwedischen Baronin alle aufs Glatteis führt. Die verrückte Schlitterpartie unterm Pariser Sternenhimmel mit schmissigem Can-Can und spritzigem Gesang ist ein Glanzstück der angeheiterten Nachtschwärmer. Die junge Baronin schwebt da längst schon im siebten Himmel des Pariser Lebens oder fliegt per pedalbetriebenem Ballon direkt von der Oper zur nächsten schicken Ball-Location. Ihr angetrauter alter Schwede kann nur noch tapfer gute Miene zum hemmungslosen Gesellschaftsspiel machen.
Die Aufführung ist bei aller niedlichen Frivolität ein absolut jugendfreier Spaß, dessen Maschinerie zwar etwas schwerfällig abhebt, aber bald eine schäumende Schubkraft gewinnt, die sie zu den Operettenkometen hochschießt. Luftig süß wie ein Baiser und so wundervoll wie das ewige Sehnsuchts-Paris. Das ist zwar nur noch ein künstliches Paradies – seit der weltweiten medialen Gefährdung der lustvoll intelligenten Erotik als immaterielles europäisches Kulturerbe geradezu schützenswert! – mit beschränktem Sündenpotential. Der animierte Premierenapplaus bewies trotz kleiner, letztlich unerheblicher Zweifel: Dieses Pariser Leben ist immer noch eine Reise wert.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.2½ Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 02.05.09
Nächste Vorstellung: 27.12.08

Samstag, 02.01.2010

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