Wo mir sind, is oben! - kultur 78 - Juli 2011

Andreas Etienne: Wo mir sind, is oben! Premiere im Haus der Springmaus, 1.06.11

Andreas Etienne hat sein neues Programm dem ewigen Streben des Menschen nach „oben”, an die Spitze der Gesellschaft gewidmet. Wollen da wirklich alle hin? Charakteris­tische Exemplare von „Aufstrebenden” gibt es auf jeden Fall immer wieder zu beobachten, und auf diese richtet Etienne gnadenlos den Fokus.
So ist Frau Keltenbach, Endenicherin in den „bes­ten Jahren” – eines von Etiennes langjährigen Bühnen-alter-Egos, wieder dabei. Sie bekommt Besuch von ihrer Tochter, die ihr ihren Verlobten vorstellen möchte. Frau Keltenbach (Etienne mit Perücke und Stola) wittert die Möglichkeit eines rasanten Aufstiegs, denn: „Jean-Luc arbeitet bei der Telekom, als Management Assistant!”. Das Kaffeetrinken entwickelt sich zu einem eher pubertären Mutter-Tochter-Diskurs, Jean-Luc hüllt sich in Schweigen. Realistisch... Nach der Stippvisite greift Frau Keltenbach natürlich sofort zum Telefon und malt ihrer Freundin Elke den wunderbaren bevorstehenden Aufstieg der Familie in die besten Bonner Kreise aus.

Andreas Etienne gehört nicht zu den reinen „Rede-Kabarettisten”. Schauspiel- und Improvisationstheater-erfahren und -begeistert spielt er auch in seinen Soloprogrammen Szenen und Sketche, lässt die Dialogpartner seiner Protagonisten mühelos in der Fantasie der Zuschauer entstehen. Mit nur wenigen Requisiten und Audio-Einspielern entstehen seine Bühnenwelten.

Ernste Fingerzeige, nur leicht humoristisch verpackt, lässt er auch einfließen. So werde es in einigen Jahren so sein, dass der rote Teppich für den Besuch eines Installateurs ausgerollt werden müsse – weil die Jugendlichen von heute ja Superstar als Berufswunsch habe...
Auch die Auswüchse des Statusindikators „sozialer Score” veranschaulicht Etienne. Schließlich sei es doch so, dass Wohlstand auf dem basiere, was wir uns nicht leisten können, ablesbar an gewährten Krediten und Kreditkarten. So steige der Score z.B., wenn man Jenny Elvers heirate, denn „man muss sie ja schön behängen”. Das freue die zinsenwitternde Bank, aber zugleich stehe dem gesellschaftlichen Ansehen die Unersättlichkeit des weiblichen Geschlechts gegenüber, womit eine maskuline Grenzsituation erreicht werde.
Etienne macht – trotz zahlreicher Gastauftritte in anderen Städten – Kabarett für Bonn. Da darf natürlich das WCCB nicht unerwähnt bleiben. Wer glaubt, dazu sei doch schon alles gesagt, irrt: Etienne schlägt vor, die Baustelle in einen schwarz gestrichenen Sarkophag zu hüllen, mit Aufschrift „Hier ruhen meine Millionen.” Auch an Rettungsideen für die Bonner Stadtkasse mangelt es ihm nicht – wie wäre es z.B. mit einer Grillsteuer? Hierzu müssten am besten privatwirtschaftliche Grillfahnder beauftragt werden…
Die Hoffnung, dass sozialer Aufstieg durch tatsächliche geistige Leistung erfolgen könnte, hat Etienne weitgehend aufgeben. Umwerfend komisch ist seine Simulation eines von sich nur allzu überzeugten Unternehmensberaters, der die Modelle zur Steigerung der Effizienz eines toten Pferdes erläutert: perfekt in Gestik und Tonfall, die Brille intellektuell in der Hand…
Doch er überbietet sich noch selbst mit seiner Rückkehr durchs Publikum nach der Pause als Prominenter aus dem österreichischen Adel, der den Verfall der geistigen Elite auch in seinen Reihen bemängelt.
Fazit Etiennes: Die einfachste Art, nach oben zu kommen ist: Mobbing! Nach wie vor, wie es von Kain und Abel, über die Apostel, Cäsar, Othello, Hamlet bis zu den heutigen Politikern zu beobachten sei.
Keine schöne Erkenntnis, aber – Fazit der Redaktion: Ein absolut erlebenswertes Programm! J.S.

Andreas Etienne (*1955 in Oestrich-Winkel) gehört zu den Gründungsmitgliedern des Bonner Improvisationstheaters Springmaus, in dessen Ensemble er von 1983-1991 mitwirkte. Seit 1985 ist er Künstlerischer Leiter des Theaters Haus der Springmaus in Bonn und spielt dort in zahlreichen Hausproduktionen.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: ?


Samstag, 04.02.2012

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