Die Liebe zu den drei Orangen - kultur 62 - Januar 2010

Fantastischer Bühnenzauber - Die Liebe zu den drei Orangen in der Oper

Eine witzige Parodie auf die Theaterwelt hat Sergej Prokofjew gleich mitgeliefert in seiner Oper Die Liebe zu den drei Orangen. Es ist das erste Bühnenwerk des Komponisten, das szenisch aufgeführt wurde. Allerdings nicht in seiner russischen Heimat, die nach der Oktoberrevolution 1917 wenig Sinn für einen solchen Musiktheaterspaß hatte, sondern in den USA. Der junge Prokofjew war nach Amerika ausgereist und 29 Jahre alt, als das Stück Anfang 1921 in Chicago uraufgeführt wurde.
Der Disput zwischen den sich mächtig ereifernden Fans des Tragischen, Komischen und Lyrischen, den aufgebrachten Hohlköpfen und den verzweifelten Theatermachern ist ein durchaus hintergründiger Spaß. Philipp Himmelmann lässt in seiner geistreichen, herrlich bunten Inszenierung die Meinungen der selbsternannten Theaterfreunde richtig schön aufeinanderprallen. Im Streit um die richtige Theaterauffassung werden sogar tollkühn die oberen Ränge gestürmt. Die Bühne wird auf beiden Seiten flankiert von den Logen eines weiß und golden prunkenden Rokokotheaters (Bühnenbild: Hermann Feuchter), von wo aus sich die Zuschauer temperamentvoll ins Geschehen einmischen.
Prokofjews Liebe zu den drei Orangen ist Theater im Theater. Wie bereits das 1761 uraufgeführte Märchendrama des Venezianers Carlo Gozzi, eines vehementen Verteidigers der italienischen Theatertradition und erklärten Gegners seines Zeitgenossen und Theatererneuerers Carlo Goldoni. Prokofjews munter ironische Wiederbelebung von Gozzis Komödie mit ihren Commedia-dell’Arte-Elementen macht Himmelmann zu einem vergnüglichen Spektakel und das absurde Märchenspiel zu einer funkensprühenden Explosion purer Spiellust.
Die Theatermacher schlagen den wild gewordenen Theaterliebhabern also das Stück Die Liebe zu den drei Orangen vor. Gespielt wird in Bonn übrigens auf Deutsch – sprachlich nicht immer ganz verständlich, was das Vergnügen jedoch kaum schmälert. Zumal eine Salto schlagende Schar von Akrobaten herumtollt, bei deren rasanten Kunststückchen sich eher physikalische Fragen stellen. Selbst als grotesk aufgeplusterte Fettwalzen können sie freilich den melancholischen Prinzen nicht aufheitern. Der Sohn des riesenhaft über allem thronenden Spielkarten-Königs Treff (Rüni Brattaberg) ist eine psychisch gestörte, ewig greinende Schnarchnase, die sich am liebsten unter weichen Kissen versteckt. Der Tenor Mark Rosenthal spielt und singt dieses infantile Monster einfach hinreißend.
Der lustige Truffaldino (mit beweglichem, leichtem Tenor und spielerisch ständig auf dem Sprung: der hervorragende Tansel Akzeybek) bietet vergeblich alles auf, um den Prinzen aus seiner Lethargie zu wecken. Auch Pantalon (Giorgos Kanaris) und der Zeremonienmeister (Aram Mikayelyan) haben ihre liebe Not mit dem ungezogenen Trauerkloß. Der Minister Leander (Pavel Shmuelvich) und Treffs Nichte Prinzessin Clarisse (Anjara I. Bartz) verfolgen derweil im Stechschritt ihre eigenen Ziele. Die Heilung des Prinzen passt nicht ins Konzept der beiden schwarz glänzenden Intriganten (wunderbare Kostüme: Katherina Kopp). Freilich haben sie nicht mit der schlauen afrikanischen Sklavin Smeraldine (gertenschlank mit kurzem Baströckchen und farbenreichem Mezzosopran: Susanne Blattert), die heimlich ihre Ohren spitzt und sich ihren eigenen Reim auf diverse Komplotte macht. Außerdem haben der Magier Tschelio (glänzend: der Bass Martin Tzonev) und die schöne Hexe Fata Morgana (großartig: Ingeborg Greiner) beim Kartenspiel ihre Kräfte gemessen und eine Art Kooperationsabkommen geschlossen. Fata Morgana stolpert beim Fest zur Prinzenbelustigung über ihre eigenen Rö­cke und streckt die Beine in die Luft, was einen überraschenden Lachanfall des Prinzen zur Folge hat. Zur Strafe hext sie ihm die Liebe zu drei Orangen auf den plötzlich gar nicht mehr so trägen Leib.
Farfarello (Algis Lunskis) hockt sich auf seine Windmaschine und pustet den Prinzen und Truffaldino zu dem Zauberschloss, wo eine schreckliche Köchin (Alexey Antonov) mit Bass-Stimme und meterlangem Löffel auf alles draufhaut, was sich ihren saftigen Früchtchen nähert. Mit Tschelios Hilfe werden die drei Orangen zwar erobert, erweisen sich beim Rückweg durch die Wüste aber als ziemlich beschwerlich. Dass zwei in den Orangen versteckte Prinzessinnen (niedlich: Lena Meuser als Lunetta und Leonore del Rio als Nicoletta) gleich in der Hitze dahinwelken, erspart dem Prinzen zumindest die Qual der Wahl. Nur Ninetta (bezaubernd: Vardeni Davidian) überlebt durch ein Wunder und ist so süß, dass selbst ihre kurze Verwandlung in eine Ratte das ­glück­­liche Ende nicht mehr verhindern kann.
Musikalisch beschwingt auf Händen getragen wird alles von Roland Techet, der nach Engagements in München und Düsseldorf zum ers­ten Mal in Bonn dirigiert. Das Beethovenorchester Bonn lässt mit seinen in allen Farben schillernden Tönen die Schwierigkeit der Partitur einfach vergessen. Der Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner ist wieder mal ein musikalisches und spielerisches Ereignis. Die vielen exzellenten Chorsolisten gehören fraglos auf die Habenseite der Bonner Oper. Fast das ganze Sänger-Ensemble wirkt mit bei den skurrilen Turbulenzen. Philipp Himmelmanns Regie überzeugt bis ins letzte liebevoll gestaltete Detail. Die Aufführung ist ein fantasievoller, unbeschwerter Opernspaß für die ganze Familie, der keine Wüsche offen lässt. Echt zum Verlieben! Für Zuschauer ab 6 Jahren. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: 16.04.10

Donnerstag, 09.12.2010

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