The Parallax View - kultur 67 - Juni 2010

Verdächtige Schatten: The Parallax View im Theater im Ballsaal

Alles war anders als es ist oder sein wird. Der Blickwinkel der Objekte ändert sich mit der Bewegung der beobachtenden Subjekte. Die Theorie liefert Muster von Geschichten, deren Wirklichkeitsgehalt unsicher ist. Niemand weiß, ob er der Schatten einer Erzählung ist oder der Erfinder von Schattenfiguren in einer Geschichte, deren Autor eine bloße Erzählfiktion ist. Das platonische Paradox der Wirklichkeitskonstruktion und Selbstwahrnehmung durch flüchtige Schattenbilder hat die Choreografin Rafaële Giovanola mit einem fünfköpfigen internationalen Ensemble ganz sinnlich untersucht.
Auf der Übertitelungsanlage laufen Texte aus der Erzähltheorie, während eine Frau im hellblauen kurzen Kleid auf Stöckelschuhen wie um ihr Leben stolpernd auf der Stelle rennt und nicht vorwärts kommt. Will sie vor einer Bedrohung flüchten oder ein Ziel erreichen? Wurde sie auf dem per Video eingespielten leeren Feldweg nach einer Vergewaltigung aus dem Auto geworfen oder hat sie den Wagen selbst gesteuert? Was hat sie mit den Leuten in dem großen weißen Zelt mit den manchmal geöffneten und manchmal geschlossenen Fenstern zu tun, das sie vorsichtig dreht, bevor es sich öffnet und Paare freigibt, von denen man nicht weiß, ob sie sich quälen oder lieben. Zur Musik von Jörg Ritzenhoff mischen sich Tonspuren von alten Filmen ein. Sind wir in einem Krimi oder bilden wir uns ein, dass da welche was tun, das unsere Erklärungskompetenz überfordert? Eigenwillig getanzt mit abenteuerlichen Sprungfiguren und irren Körperverrenkungen wird das von Volkhard Samuel Guist, Martin Inthamoussú (beide gehören zum stabilen Stamm der Compagnie) und den kraftvollen weiblichen Energiebündeln Anthansia Kanellopulou, Victoria Perez und Raquel Torrejón. Alle fünf wirbeln das Verhältnis von Schein und Sein so brillant durcheinander, dass die Frage nach dem Grund und Sinn jeder Bewegung in jedem Moment anders gestellt werden muss. Was ist folgenreicher Zufall und was folgenloser Plan? Sind wir im globalen Netz eine verschworene Gemeinschaft von Einzelnen, die gar nicht wissen können, wer sie wann beobachtet und ihnen Geschichten zuschiebt, mit denen sie nichts zu tun haben? Nur weil wir im Unsinn einen Sinn suchen und immer noch hoffen auf die große Erzählung.
The Parallax View erzählt davon mit leichtfüßiger Eloquenz. Nichts ist, wie es scheint, wäre eine ziemlich triviale Einsicht. Alles scheint, wie es ist, macht schon mehr Vergnügen – wenn davon so spannend berichtet wird wie in der neuen Produktion von CocoonDance, wie immer dramaturgisch konzipiert von Rainald Endraß. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1 Std., keine Pause
Im Programm bis: ????
Nächste Vorstellungen: 27./28.05.

Montag, 14.02.2011

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