In Marmor - kultur 66 - Mai 2010

Traumpaare im Sehnsuchtstaumel: In Marmor (deutschsprachige Erstaufführung) in den Kammerspielen

Eigentlich hat alles ganz harmlos angefangen. Ein Gespräch unter langjährigen Freunden: Brandy, Zigarren, nichts Besonders. Und dann erzählt Art plötzlich von einem Traum, in dem er tollen Sex mit Bens Frau Catherine gehabt habe. In einem Zimmer ganz aus Marmor – selbst Bett und Fenster: Alles aus kühlem, glänzendem Marmor. Art kennt Catherine kaum, schwärmt jedoch von vollkommenen Schenkeln auf strahlend weißen Laken und Haaren wie flüssiges Gold. Ben findet das reichlich geschmacklos und ist ziemlich perplex, wenn Catherine ihm ebenfalls von einem Traum erzählt, in dem sie mit Art geschlafen habe – in einem Marmorzimmer.
Was ist passiert mit diesen gut situierten, leidlich glücklich verheirateten Mitvierzigern? Wohin treibt sie ihre Sehnsucht, die mit Haus, Auto, gesunden Kindern usw. merkwürdig ins Leere läuft? Die irische Autorin Marina Carr, von der Generalintendant Klaus Weise in den Kammerspielen 2004 bereits die Familientragödie Ariel herausbrachte, zeigt in ihrem 2009 in Dublin uraufgeführtem Stück In Marmor den Zerfall erkalteter Beziehungen. Auf den ersten Blick scheint das Drama mit seinen fast beiläufigen Dialogen dem Muster intelligenter Boulevard-Komödien zu folgen. Türen und eine beinahe showmäßige Treppe für unerwartete Auftritte und Abgänge gibt es genug im kühl eleganten Bühnenbild von Manfred Blößer. Doch mit den gleichzeitigen, wiederholten Marmorträumen tut sich eine Parallelwelt auf. Art und Ben, Anne und Catherine tragen manchmal die gleichen Anzüge und Kleider (Kostüme: Fred Fenner). Die vier gehen aneinander vorbei, ohne sich zu bemerken, sind seltsam an- und abwesend zugleich. Regisseur Klaus Weise lässt dunkle Wolken über den Horizont ziehen, während auf der Bühne die Gefühle aus dem Ruder laufen.
Birte Schrein ist Catherine, die mehr vom Leben haben will: Sensationell soll es sein und voller Marmor. Sie knallt ihrem sympathischen Ben, exzellent verkörpert von dem aus mehreren Produktionen bekannten Falilou Seck, die ganze Ödnis ihrer Ehe vor die Füße. Sie stö­ckelt im Seidennegligé über die Treppe wie eine Diva, ist mal ein bisschen hysterisch überdreht, mal eiskalt sachlich. Sie treibt die Emotionen in ungeahnte Höhen und entscheidet sich am Ende in vollkommener Klarheit für Zerstörung und riskanten Neuanfang. Dass das erträumte, ausweglose Marmorzimmer auch eine Grabkammer sein könnte, ist ihr bewusst.
Yorck Dippe ist Bens alter Kumpel und Arbeitskollege Art: treuer Familienvater, lässig charmant, ein bisschen großspurig und ziemlich kleinmütig. Catherines Avancen gehen ihm entschieden zu weit, doch der Rückweg in den normalen Alltag mit Gattin Anne ist längst versperrt. Obwohl Anne durchaus zum Kampf um ihre Ehe bereit ist, deren Gefühlslöcher sie mit Einkaufsschlachten und etlichen Gläsern Rotwein zustopft. Christine Schönfeld vom Theater Bochum gastiert in der Rolle der verletzlichen Zynikerin.
Am Ende stehen alle mit leeren Händen da. Catherine und Art proben zumindest den Ausbruch, wenn auch nicht gemeinsam. Dass ihr Weg in diesem leichtfüßig inszenierten, bitter komischen Spiel um Illusionen nicht zur Erfüllung der großen Sehnsüchte führt, ist leider wahrscheinlich. Weise zeigt das mit feiner Ironie. Und er hat dafür ein fabelhaft gutes Schauspie­lerquartett, das mit leiser Selbstironie virtuos alle zarten und groben Beziehungsrisse aufdeckt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: vorerst bis 9.07.10
Nächste Vorstellungen: 15.05./29.05.10

Montag, 07.02.2011

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