Geschichten aus dem Wiener Wald - kultur 76 - Mai 2011

Hoffnungslos an der schönen blauen Donau: Geschichten aus dem Wiener Wald in der Halle Beuel

„Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vorhat. Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst wär ich nämlich nicht mehr da“, sagt Marianne, bevor sie mit dem Schlachtermeister Oskar ein neues Leben beginnt. Geblieben ist dem Wiener Vorstadtmädel nicht viel, dass von der großen Liebe träumte, ein Kind bekam, im Rotlichtmilieu landete und schließlich wieder dort ankommt, von wo sie floh. In der „stillen Gasse im achten Bezirk“, die Ausstatterin Dorothea Wimmer als triste zweistöckige Ladenpassage fast schon naturalistisch gestaltet hat. Da ist Oskars „gediegene Fleischhauerei“ mit blutigen Schweinsköpfen und gut gefüllter Kühltheke. Es gibt Valeries Tabaktrafik mit Zeitungsständern und blinkendem „open“-Zeichen. Dazwischen die „Puppenklinik“ des Zauberkönigs mit allerhand Krimskrams und einem Skelett, das gern als Werbeträger vor die Tür gestellt wird. Im oberen Stockwerk ist die Halbwelt angesiedelt mit Spielsalon und Pornokino.
Regisseur Klaus Weise versucht, Horváths 1931 uraufgeführte Geschichten aus dem Wiener Wald näher an die Gegenwart zu holen, ohne eine rigoros moderne Inszenierung zu schaffen. Die böse Entlarvung von Dummheit, Egoismus, Niedertracht ist hier kaum noch nötig. Diese Figuren tragen keine Masken aus Gemütlichkeit, Bigotterie und Bildungsklischees. Die kleinbürgerliche Operettenidylle, die Horváth mit den walzerseligen Musikzitaten herbeizitiert, ist längst passé. Hier werden Popsongs abgenudelt, während Mädchen sich aufreizend hinter Milchglasschreiben räkeln und in einer Art „Verrichtungsraum“ mit Haltestange in dem oberen Etablissement der Zauberkönig Oralsex mit einer unsichtbaren „Dienstleisterin“ hat, die sich als seine Tochter erweist. Keine „Nackttänzerin“ im leidlich gepflegten „Maxim“ also, sondern direkte Schmuddelerotik. Weise übersetzt viele vielschichtige Motive geradlinig ins heutige Prekariatsmilieu. Dabei gelingen ihm in dem eher statisch aufgebauten Drama trotz der plakativen Bilder doch immer wieder Szenen von wunderbar trostloser Komik.
Anastasia Gubareva spielt Marianne als nette Göre mit Jeansjacke. Ziemlich naiv, irgendwie sympathisch, aber so recht Mitleid kann mit dieser Marianne nicht haben, die sich von allen übel mitspielen lässt. Nico Link als ihr geliebter Alfred ist ein Lederjackentyp, der sich gern als Zocker rumtreibt und sich von Frauen aushalten lässt. Eigentlich möchte er ein anständiger Kerl sein, aber als er mit Freundin und Kinderwagen dann in einer schäbigen Absteige hockt, wird ihm einfach alles zu viel. Er lässt Marianne sitzen, wie sie ihren braven Verlobten Oskar (Arne Lenk) sitzen ließ, der sie auf seine Weise wirklich liebt und wartet, bis sie endlich begreift, dass sie ihm nicht entgehen wird. Ralf Drexler gibt Mariannes Vater Zauberkönig mit strähnigen langen Haaren als schmuddeligen Ladenbesitzer, der sich angesichts seiner ungeratenen Tochter selbst bemitleidet. Stefan Preiss als zynischer Rittmeister verströmt als einziger noch den Charme der gehobenen Erziehung. Elegant macht er der mit reichlich Sexappeal aufgetakelten, aber gutmütigen Valerie (Nina V. Vodop’yanova) den Hof. Die hat sich nach Alfred mit dem schneidigen rechtsradikalen Studenten Erich (Birger Frehse) getröstet, der in den Krieg zieht.
In kleineren Rollen bewähren sich Florian Hensel (Hierlinger), Günter Alt (Hawlitschek) und Tatjana Pasztor (Alfreds Mutter).
Zu einer unglaublich faszinierenden Figur wird Alfreds Großmutter, verkörpert von Tanja von Oertzen. Draußen in der Wachau hockt sie mit der Mutter in einem billigen Liegestuhl grantelnd vor einem tragbaren Fernseher. Halberstarrt wie ein Skelett unter ihrem braunen Hut. Später wird die Alte dafür sorgen, dass Mariannes und Alfreds Baby umkommt. Diese Großmutter ist zerbrechlich, aber stark. Verrückt und geistesgegenwärtig, gottesfürchtig und teuflisch. Sie hat diese groteske Bosheit, die vor nichts haltmacht. Das ganze große Ensemble agiert mit schön ausgefeilten Charak­terstudien; doch richtig berühren kann die Inszenierung nicht. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 ½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 18.05.11

Donnerstag, 29.12.2011

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