Herr Puntila und sein Knecht Matti - kultur 76 - Mai 2011

Feuchtfröhlicher Schwank
Herr Puntila und sein Knecht Matti
in den Kammerspielen

Betrunken ist er ein gutmütiger Mensch, nüchtern der Herr über ein einträgliches Gut, Wälder, Weiden und Arbeitskräfte, die seinen Wohlstand sichern. Puntila ist kein schlichter Alkoholiker, sondern ein grandioser Genießer. Ein merkwürdig sympathischer anarchischer Dickschädel, Raufbold und Trinker, der nur in den raren Phasen sinkender Promille richtig unangenehm werden kann. Bernd Braun spielt diesen „finnischen Bacchus“ einfach hinreißend. Er tobt und tänzelt, ist nach ein paar Flaschen Aquavit jovial und munter. Und lässt dann wieder in seinem spöttischen Blick eine unwiderstehliche Bosheit aufleuchten. Splitternackt in der Sauna wird er nach endlosen Wassergüssen eimerweise so fürchterlich stocknüchtern, dass man nur noch den Kopf einziehen kann. Ein übler Bilderbuch-Kapitalist ist er nicht, eher die aussterbende Spezies der bodenständigen reichen Landbesitzer, ein bäuerlicher Baal sozusagen, der im Dickicht der Städte ziemlich verloren wäre.
Brechts komischstes Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti ist kein sozialistisches Tendenzstück und kein Kommentar zum Klassenkampf. Johannes Lepper hat es in den Kammerspielen als echtes „Volksstück“ mit viel Witz und allerhand Slapstick-Elementen inszeniert. Die große Bühne von Martin Kukulies ist fast leer. Es gibt kaum realistisches Dekor, die einzelnen Szenen werden durch Lichtinseln hervorgehoben. Die Schauspieler sitzen meistens um die Spielfläche herum und steigen nach Bedarf in die Abläufe ein. Als eine Art Spielmacher fungiert Oliver Chomik in der Rolle des roten Surkala, den Brecht erst für die Aufführung am Berliner Ensemble 1949 hinzugefügt hat. Oft sitzt er mit Kopfhörern im Hintergrund und belauscht das wüste Treiben auf Puntila. Und ist gleichzeitig eine Spiegelung des Autors selbst, der beim Schreiben seines Stückes die englischen Kriegsnachrichten am Radio verfolgte.
Brecht schrieb Herr Puntila und sein Knecht Matti 1940 im finnischen Exil. Er hatte bei seiner 1933 begonnenen Flucht durch halb Europa mit seiner Familie Asyl gefunden auf dem Gut der Schriftstellerin Hella Wuolijoki, die den Stoff für das Werk lieferte und es gemeinsam mit Brecht für einen finnischen Volksstück-Wettbewerb verfasste. Uraufgeführt wurde es erst nach Brechts Rückkehr aus Amerika in Zürich. Leppers Inszenierung denkt die Entstehungsgeschichte des Dramas mit, konzentriert sich aber vor allem auf die lebensprallen Figuren, die mit famoser spielerischer Energie durch wüste Saufexzesse und grotesk klarsichtige Verkehrungen der Verhältnisse taumeln.
Rigoros nüchtern bleibt Puntilas Chauffeur Matti, den Raphael Rubino keineswegs als geknechteten Proletarier spielt. Er ist ein selbstbewusster Opportunist, kein kommunistischer Klassenkämpfer wie Surkala. Dienst ist Dienst, die Doppelgesichtigkeit seines Herrn durchschaut er perfekt und tut, was ihm befohlen wird. Puntilas Tochter Eva nach Wunsch im Badehaus kompromittieren – warum nicht? Maria Munkert spielt die attraktive Gutsbesitzertochter, die von Mattis proletarischer Männlichkeit durchaus fasziniert ist, kapriziös zwischen Frustration und Hochmut. Dass sie bei der peinlichen Prüfung auf Ehetauglichkeit mit dem Bediensteten vor dessen Spießigkeit kapitulieren muss, hält sie tapfer aus. Es war ohnehin nur eins der gemeinen Gesellschaftsspiele ihres Vaters, der bei klarem Kopf selbstverständlich den Attaché (irre komisch zwischen Dünkel und Dummheit: Konstantin Lindhorst) zum Schwiegersohn haben will. Schließlich ist diese verachtete „befrackte Heuschrecke“ ohne weiteres käuflich und ziemlich sicher ein gutes Geschäft bei der politisch geschäftlichen Lobby-Arbeit.
Puntilas Sauf- und Saunakumpane aus der Justiz – Wolfgang Rüter als Richter
und Hendrik Richter als Advokat – liefern nicht nur herrlich skurrile Studien von bestechlichen Provinzgrößen, sondern sind auch schlichte Faktoren in Puntilas ökonomischem Kalkül. Wenn die die Entlassung des tüchtigen roten Arbeiters Surkala verlangen, wird er halt mit seinen vier Kindern gefeuert.
Übel mitgespielt wird auch den drei Dorfschönheiten, mit denen sich Puntila frühmorgens schnapsselig verlobt. Beim Verlobungsfest seiner Tochter jagt er die Mädels, die sich für das Ereignis wirklich entzückend aufgebretzelt haben (Kostüme: Beatrix von Pilgrim) davon. Das schüchterne Apothekerfräulein (Susanne Bredehöft), das rundliche Kuhmädchen (Maria Munkert) und die kokette Telefonistin (Philine Bührer) ertragen die Abfuhr mit Fassung. Beim Gesindemarkt dürfen sich auch Jobsucher im Publikum bewerben, müssen es aber nicht.
Zur berühmtesten Säuferszene der Theatergeschichte zieht die Aufführung noch mal alle Register. Zur finalen Besteigung des Hatel­maberges fährt die halbe Bühne in die Versenkung, während der ganze Scheinwerfer-Plafond schräg über dem Abgrund hängt. Der sturzbesoffene Puntila turnt halsbrecherisch über die Stege und behauptet die schöne Aussicht über alles, was ihm gehört, als pures Bühnenereignis. In diesem bei aller Maschinerie atemberaubend poetischen Moment laufen Braun und Rubino noch mal zu einer schauspielerisch großen Form auf, die den ganzen langen Abend rechtfertigt. Der verläppert sich zeitweise zwischen Nebelschwaden, Comedy-Aufgüssen, Boxbirnen (Brecht war ein Boxkampf-Fan) und geleerten Flaschen ein wenig im Klamauk, bis der eiserne Vorhang fällt, vor dem Matti seinen Abschied von Puntila verkündet. Bevor der wieder nüchtern wird, ist’s wohl doch besser, einen neuen Arbeitgeber zu suchen. Sein eigener Herr zu werden, ist Mattis Sache nicht. Einer wie er bleibt lieber ein schlauer Knecht.
Bernd Braun ist mit seinem fabelhaften Puntila-Rausch aber ein Theatercoup gelungen, den man auf keinen Fall verpassen sollte. Dass die ersten Vorstellungen nach der Premiere wegen seiner Erkrankung ausfallen mussten, ist ein Wermutstropfen im hochprozentigen Cocktail, dessen Substanz Braun immer auf spielerisch wahnwitzig schäumender Brillanz hält. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std., eine Pause
Im Programm bis: ??????
Nächste Vorstellungen: 5.05./8.05./13.05./15.05./21.05./29.05./4.06.

Donnerstag, 22.12.2011

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