Rusalka - kultur 76 - Mai 2011

Musikalisch-poetischer Märchenzauber: Rusalka in der Oper

All die psychologisch komplexen und teilweise eher nicht jugendfreien Interpretationen von Dvoráks einziger Oper, die es wirklich ins internationale Repertoire schaffte, mögen ja aufregend sein und Neues aus dem bekannten Märchenstoff herausholen. Natürlich ist der Verlust der Stimme grausam, mit dem Rusalka ihr letztlich unmögliches Verlangen nach der Vereinigung mit einem Mann aus der Menschenwelt bezahlen muss. In Bonn wird die Geschichte des Wassermädchens Rusalka, das aus Liebe nach einem menschlichen Körper und einer Seele verlangt, ganz einfach erzählt. Nicht als schlichtes Kindermärchen wohlgemerkt – ein solches sind weder Andersens Kleine Meerjungfrau noch die anderen Nixen- und Nymphen-Erzählungen, die im 19.Jahrhundert die Literatur bereicherten.
Die Inszenierung des erfahrenen Kinderopern-Regisseurs Mark Daniel Hirsch verschweigt also keineswegs, dass es schmerzhaft und gefährlich ist, sich aus dem unschuldigen Naturreich in die fremde Welt der Menschen zu begeben. Die Musik, deren Sympathie eindeutig dem Zauber von Rusalkas böhmischer Heimat zwischen Seen und Wäldern gehört, lässt daran auch keinen Zweifel. Jaroslav Kyzlink, Chefdirigent des slowakischen Nationaltheater Bratislava, führt das wundervoll animiert spielende Beethovenorches­ter perfekt durch spätromantisch beseelte Klangopulenz, stimmungsvolle impressionistische Farbtupfer und die dramatischen Momente, in denen sich die Tonsprache des 20.Jahrhunderts ankündigt.
Antonín Dvorák war fast 60 Jahre alt, als Rusalka 1901 mit großem Erfolg in Prag uraufgeführt wurde. Er kannte die Wagnersche Leitmotivtechnik, mischte leidenschaftliche Ausbrüche in die überwiegend lyrisch angelegte „Rusalka“-Musik, die von der Verssprache seines Librettisten Jaroslav Kvapil getragen wird. Um die künstlerische Einheit von Sprache und Klang zu bewahren, wird auf Tschechisch (mit deutschen Übertiteln) gesungen, obwohl die Aufführung ausdrücklich als Familienoper, also besonders auch für Musiktheater-Einsteiger, gedacht ist.
Für die gibt es viel zu sehen auf der von Helmut Stürmer fantastisch gestalteten Bühne. Ein transparenter Wald wächst im Hintergrund in den Himmel, schimmert im Licht von Max Karbe mal wie ein Wasserpflanzendschungel, mal wie die Umgebung des Sees, in dem Rusalka lebt. Durch Projektionen gerät er scheinbar in Bewegung, während in der Mitte eine kleine Drehbühne immer neue Perspektiven auf eine riesige Flussgott-Skulptur erlaubt. Im zweiten Akt verwandelt sich die Szenerie in den prächtig beleuchteten Festsaal auf dem Schloss des Prinzen, wo durch verrückte Spiegelungen die Verwirrung der stummen Rusalka sinnfällig wird. Lustig und gleichzeitig bedrohlich die mas­kierte Hofgesellschaft, mit schrillen Kostümen ausgestattet von Dieter Hauber und Karin Stephany. Der von Ulrich Zippelius einstudierte Chor (optisch ergänzt durch Mitglieder der Statisterie) präsentiert sich in Hochform. Und macht klar, dass für die zarte Rusalka in dieser unheimlichen Umgebung kein Platz ist.
Der väterliche Wassermann (mit kraftvoll warmem Bass: das neue Ensemble-Mitglied Renatus Mészár) hatte Rusalka gewarnt. Irina Oknina bringt für die gesanglich äußerst anspruchsvolle Titelrolle einfach alles mit: eine Sopranstimme, die alle Klippen der Partie scheinbar mühelos bewältigt und im berühmten „Lied an den Mond“ alle emotionalen Fi­nessen zum Klingen bringt. Und eine Erscheinung, die im jugendstiligen langen Faltengewand am Seeufer fast durchsichtig wirkt und später mit Menschenfüßen immer leicht überirdisch zu schweben scheint. Die Erde ist einfach nicht Rusalkas Element, Feuer macht ihr Angst. Der Prinz, dem George Oniani seinen brillanten Tenor leiht, ist zwar eher ein Melancholiker als ein feuriger Liebhaber, aber von dieser ätherischen Schönheit so hingerissen, dass er sie zur Frau begehrt. Dass das nicht geht, weiß die fremde Fürstin nur allzu genau. Wie Anjara I. Bartz im nachtschwarzen Kleid mit verführerischem Beinschwung und verlockendem Mezzosopran den Prinzen kalt umgarnt und Rusalka in die Verzweiflung stürzt, ist ein Kunststück an Boshaftigkeit.
Ein dämonisches Naturwesen ist die Hexe Ježibaba, die Daniela Denschlag mit tiefem Mezzospran eindrucksvoll verkörpert. Die Zutaten für ihr Zaubergebräu scheint sie in einem Glashaus zu züchten, das von der Seite auf die Bühne fährt. Begleitet wird sie von einem Kater (die Tänzerin Stefanie Ostheimer), den die Regie hinzuerfunden hat, und der geschmeidig als eine Art stummer Conferencier durch die ganze Aufführung geistert. Als kecker Küchenjunge führt Susanne Blattert das Personal im prinzlichen Schloss an, der Bass Boris Beletzkiy ist ein sympathischer Förster, Giorgos Kanaris singt die nicht sicht- sondern nur hörbare Partie des Jägers. Entzückend anzuschauen und zu -hören sind die drei jungen Waldnymphen Vardeni Davidian, Kathrin Leidig und Lisa Wedekind.
Der Prinz, der sich auf der Spur eines weißen Rehs im Wald verirrte und auf die schöne Rusalka stieß, bittet die Geliebte, die nicht in seine Welt passte, am Ende um die Erlösung von seinen Gemütsqualen. Rusalka schenkt ihm den tödlichen Kuss, während die Musik in höchster Seligkeit verströmt.
Die Inszenierung ist gewiss kein lustig buntes Kinderstück wie Andersens Kleine Meerjungfrau, die 2007/08 in den Kammerspielen zu sehen war. Mit ihrer Länge und ihrer musikalischen Komplexität verlangt Dvo?áks Märchenoper doch eine gewisse Wahrnehmungsschulung. Der Aufwand wird reich belohnt. Die Bonner Inszenierung ist voller Bilderpoesie und lässt musikalisch keine Wünsche offen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 ¼ Std., zwei Pausen
Im Programm bis: 10.06.11
Nächste Vorstellungen (in dieser Spielzeit): 04.05./10.06.11

Donnerstag, 22.12.2011

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