Der Fall Richard Strauss - kultur 75 - April 2011

Künstlerfreundschaft und Kollaboration: Der Fall Richard Strauss im Kleinen Theater

Der österreichische Dichter und Essayist Stefan Zweig war auf der Höhe seines Ruhms, fühlte sich aber dennoch geehrt, als der damals bekannteste deutsche Komponist Richard Strauss ihn um einen Operntext bat. 1931 begann die Zusammenarbeit der beiden Künstler; 1935 wurde die komische Oper Die schweigsame Frau in Dresden uraufgeführt. In der Zwischenzeit hatte Hitler die Macht ergriffen und Strauss sich auf eine andere Form der Kollaboration eingelassen. Er ließ sich 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer berufen, musste das Amt aber 1935 aufgeben, nachdem Briefe von ihm an Stefan Zweig abgefangen worden waren, in denen er den Freund beschwor, weiter für ihn zu schreiben.
Der englische Dramatiker Ronald Harwood hat für sein 2008 uraufgeführtes Stück Kollaboration, das im Kleinen Theater unter dem Titel Der Fall Richard Strauss läuft, wie für sein älteres thematisch verwandtes Werk Der Fall Furtwängler sorgfältig recherchiert in Briefen und Lebenszeugnissen. Es ist in der pointierten, psychologisch präzisen Regie von Gert Becker trotzdem kein schlichtes Dokumentartheater für den Geschichtsunterricht. Im eleganten Bühnenbild von Frank Joseph werden die historischen Schauplätze ohne große Umbauten durch Lichtwechsel skizziert: Strauss’ Villa in Garmisch und Zweigs Haus bei Salzburg. Orte und Jahreszahlen werden eingeblendet.
Der erste Teil widmet sich in langen Dialogpassagen der Annäherung der beiden Künstlerpersönlichkeiten. Peter Hohberger spielt ungemein genau den alten, ausgebrannten Komponisten auf der Suche nach einem neuen Opernsujet. Ein erfahrener Grandseigneur des Musiklebens, der für die trockenen Klänge in seinem Kopf eine fruchtbare Wasserader braucht. Ein egozentrischer Künstler und gleichzeitig ein perfekter Komponier-Handwerker, selbstbewusst lässig im Tweed-Anzug (Kostüme: Sylvia Rüger). Er ist jovial, gnadenlos naiv, verblendet von seinen scheinbar sicheren Beziehungen zu höchsten politischen Kreisen. Den 17 Jahre jüngeren Stefan Zweig bestürmt er regelrecht, weil er eine zündende Idee für seine Musik braucht.
Leo Braune verkörpert faszinierend den intellektuellen, politisch denkenden Schriftsteller. Im Gegensatz zu dem eher bodenständigen Musiker ist er der weltgewandte, hochgebildete Europäer. Perfekte Erscheinung, beste Manieren, geschliffene Sprache. Dennoch immer leicht melancholisch, freundlich distanziert, ein einsames Genie, das den Untergang seiner großbürgerlichen „Welt von gestern“ deutlich spürt. Ein sensibler Feingeist, der zitternd vor Zorn den Ungeist der nationalsozialistischen Volksverdummung als ästhetische Niederlage Europas begreift.
Strauss hatte bei der Uraufführung der Schweigsamen Frau durchgesetzt, dass der Name seines jüdischen Librettisten auf dem Programmzettel stand. An der Aufführung teilnehmen durfte Zweig nicht. Strauss versuchte den Freund zu einem neuen Operntext zu bewegen, erklärte ihm brieflich, dass das Dritte Reich nur ein böser Spuk sei und schnell verschwinden würde. Aber er komponierte auch die Hymne für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, dirigierte in Anwesenheit Hitlers in Bayreuth und glaubte immer noch, dass die Kunst der Gewalt überlegen sei. Hitler setzte ihn auf die „Gottbegnadeten“-Liste, während Zweig ins Exil floh und sich 1942 in Brasilien das Leben nahm.
Wenn Matthias Kiel als eiskalter SS-Offizier und Reichskulturverwalter Hans Hinkel in Strauss’ Salon auftaucht, liegt Gefahr in der Luft. Er treibt den Musiker skrupellos in die Enge: Wenn er sich den Machthabern verweigert, könnte das schlimme Folgen für seine jüdische Schwiegertochter und die geliebten Enkel haben. Mit Erpressung erzwingt er Strauss’ Selbstverleugnung. Michaela Klarwein liefert eine komische Charakterstudie von Strauss’ tapferer Gattin Pauline, die die Schwächen ihres Gatten fest im Griff hat und als Grande Dame immer das letzte Wort. ­Chris­­ti­­na Hartmann ist Zweigs schüchterne, aufopferungswillige Sekretärin und spätere Gattin Charlotte, die am Ende still mit ihm in den Tod geht. Unter die Haut geht ihr Bericht von den brutalen Übergriffen junger Nazihorden.
Was anfangs im charmanten Plauderton der Gespräche über Kunst nur anklingt, wird im dramatischeren zweiten Teil der Aufführung zur Frage nach dem möglichen Verhalten gegenüber der Macht. Strauss hatte sich gemein gemacht mit der braunen Diktatur. Er wollte durch den Verzicht auf offenen Widerstand seine Familie, seine Freunde und seine Kunst schützen. Die letzte Szene zeigt einen völlig gebrochenen Strauss und seine Frau 1948 beim Entnazifizierungsprozess, in dem er frei gesprochen wurde.
Die schauspielerisch exzellente, anspruchsvolle Aufführung mit ihren vielen offenen Fragen ist nicht nur für Opern- und Literatur-Interessierte unbedingt sehenswert! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std. ohne Pause
Im Programm bis: 03.04.11

Dienstag, 06.12.2011

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