BABEL (words) - kultur 75 - April 2011

Miteinander in der Vielfalt – BABEL (words) in der Oper

Selten herrschte bei den „Highlights des Internationalen Tanzes“ so viel Heiterkeit im Publikum. BABEL (words) ist die bisher witzigste Arbeit des bei Antwerpen als Sohn eines muslimischen Marokkaners und einer katholischen Belgierin geborenen Star-Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui. Zusammen mit seinem langjährigen künstlerischen Partner Damien Jalet und dem britischen Bildhauer Antony Gormley hat er ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das gleichzeitig Schauspiel, Tanz, Performance und frecher Slapstick ist. Um Verständigung in der verwirrenden Vielfalt von Sprachen und Kulturen in einer globalisierten Welt geht es in dem Stück, das auf die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zurückgeht. Gott strafte die Menschen, die einen bis zum Himmel reichenden Turm errichten wollten, indem er ihnen die einheitliche Ursprache wegnahm und sie in zahllose Völker zerstreute.
In Cherkaouis neu gegründeter Kompanie Eastman machen sich 18 Künstler aus 15 Ländern, die 15 verschiedene Muttersprachen sprechen und sieben Religionen angehören, auf die Suche nach Verständigung im babylonischen Chaos. Die Bühne wird beherrscht von fünf offenen Quadern aus Stahlrahmen, die verschoben, verschachtelt, gedreht und gekippt werden und ständig neue Räume entstehen lassen. Sie sind Hochhäuser, Container und Gefängnisse, Zuflucht und Barrieren, Innen- und Außenwelt. Während die Performer sich über linguistische oder politische Theorien streiten, werden die Rahmen von einer Putzfrau blank poliert, die plötzlich kraftvoll ein Lied schmettert. Sie gehört zu den fünf Musikern, die die 13 exzellenten Tänzer mit folkloristisch inspirierten Klängen aus Orient und Okzident begleiten.
Die Schwedin Ulrika Kinn Svensson gibt eine puppenhafte Domina auf Lackstiefel-Stelzen, hält die Warteschlange an einem Flughafen in Schach, zelebriert wie ein Sprachautomat die Airport-Regeln, wechselt beim Anblick von zwei kleinen Asiaten flugs in ein mechanisches Japanisch und lässt eine Frau mit Kopftuch sehr widerwillig passieren. Der dunkelhäutige Amerikaner Darryl E. Woods hält einen pseudowissenschaftlichen Vortrag über Spiegelneuronen und über die weltweite Dominanz des Englischen, der im vielsprachigen Protest der anderen untergeht.
Damien Fournier schwadroniert als typischer französischer Intellektueller über den modernen belgischen Tanz und verwandelt sich beim Weg durch einen der Stahlquader wie in einem Zeittunnel in einen grunzenden Steinzeitmenschen, der nur auf Sex aus ist. In der schnellen Szenenfolge gibt es akrobatische Schaukämpfe, skurrile Balletteinlagen und Momente von zärtlichen Begegnungen. Am Ende formen sie sich ohne Furcht vor Show­effekten zu einem Gesamtkörper, in dessen Mitte ein strahlender Luzifer thront.
Cherkaouis hinreißendes Tanztheater spielt lustvoll mit nationalen und politischen Klischees, wechselt vom handfesten ‚Kampf der Kulturen’ zur fröhlichen Clownerie und von virtuellen zu spirituellen Welten. Und lässt den Zuschauer nach 100 turbulenten Minuten mit dem glücklichen Gefühl zurück, dass all die kulturellen und individuellen Differenzen kein Fluch, sondern ein Segen sind, wenn man die künstlichen Grenzen mit menschlicher Empathie und spielerischer Intelligenz überwindet.
Das großartige Ensemble wurde an beiden Gastspielabenden mit begeistertem Applaus belohnt. Der Choreograph selbst feierte am 10.März seinen 34. Geburtstag in Tokyo bei der Vorbereitung eines neuen Stückes. E.E.-K.

Dienstag, 06.12.2011

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