Leben des Galilei (Kammerspiele) - kultur 85 - April 2012

Leben des Galilei von Bertolt Brecht in den Kammerspielen – Fortschritt und Verantwortung

Leuchtendes Unschuldsweiß und Glatze tragen am Anfang alle in der Inszenierung von Niklas Ritter. Was der Physikprofessor Galileo Galilei in Padua treibt, erscheint als eine Art heiteres Kinderspiel. Dass die Erde nicht Mittelpunkt des Weltalls sei, behauptet er mit schlichten Beweisen. Außerdem braucht er Geld für seine Milch, weshalb er bedenkenlos das längst erfundene Fernrohr den Venezianern als Ergebnis seiner eigenen Forschungen verkauft. Eine lustige Milchstraßen-Show in dem schmalen Bereich zwischen dem schwarzen Vorhang und einem Gazeschleier (Bühne: Michael Graessner). Wie Puppen ohne tieferes Bewusstsein agieren die Figuren um den Fixstern Galilei – jeder ein kleiner Star im zeitlosen Weltall-Kaspertheater. Dem mächtigen Florenz dient Galilei sich trotz seiner Betrügereien erfolgreich an. Familienfoto mit Teleskop, das er braucht, um den Sternen näher zu kommen und immer weitere Beweise zu sammeln für die Tatsache, dass die Erde sich um die Sonne und um sich selbst dreht.
Für die Vatikanszenen, in denen der Raum für Gali­leis Einsichten enger wird, öffnet sich nach der Versenkung der naiven schwarz-weißen Aufklärungswelt die Bühne weit nach hinten. Kleine Messdiener singen entzückend; die jubilierende Orgel (Live-Musiker: Tilman Ritter) darf sich schon mal einen sehr weltlichen Walzer erlauben, während der Kardinal Inquisitor ganz in Rot (gnadenlos komisch: Günter Alt) auf einer riesigen Kommunionsbank eine grotesk witzige katholische Modenschau veranstaltet. Bis als nackte Wahrheit ein sehr unbekleideter Mann auf Rollerskates über den Laufsteg saust. Skandal: Konkretes Wissen ist verboten im katholischen Weihrauchnebel. Mit prächtigen Renaissance-Gewändern (Kostüme: Ines Burisch) hat sich Gali­leis Crew angepasst an den Pomp alter Umstände, deren widersinnige Unbelehrbarkeit alles ihre Macht gefährdende neue Wissen Lügen straft.
Kühl nippt Galilei im eleganten modernen Anzug an seinem Sektglas bei der päpstlichen Party. Bernd Braun spielt den nüchternen Intellektuellen mit Hang zu gutem Wein und einem Schuss bitterer Selbstironie perfekt. Ein rücksichtsloser Außenseiter mitten im Gesellschaftsgetümmel, das ihm zuwider ist, weil er dem Planetensystem auf die Spur kam. Ein Genießer und Forscher, dessen Schönheitssinn durch die Verlogenheit der Konventionen beleidigt wird. Sein Galilei ist Galaxien weit entfernt von der gläubigen Dummheit der Wesen, die ihre Wahrheit gegen jede wissenschaftliche Vernunft behaupten. Braun ist die Sonne, gegen deren zentrale Strahlkraft alle anderen es schwer haben, noch ein Stückchen zu leuchten.
Brillant schafft das Ines Schiller als Andrea Sarti (im Original Sohn von Galileis Haushälterin). Die weibliche Besetzung dieser Rolle nutzt die Regie nicht nur für einen hübschen Zickenkrieg mit Galileis Tochter Virginia (Philine Bührer), sondern auch für einen tapferen Abgang in Jeansrock und Lederjacke. Galileis kluge Wahltochter wird seine weltbewegenden „Discorsi“ am Ende als Ritterin der Aufklärung heimlich in die frei denkenden Niederlande schmuggeln.
Die um ihr Lebensglück mit dem adeligen Pferdezüchter Ludovico (Dominik Fornezzi) betrogene Virginia wird fleißig Cello üben und ihren erblindeten alten Vater pflegen, der seine elegante graue Anzugjacke wie eine Zwangsjacke akzeptierte und angesichts der Folterinstrumente der Inquisition seinen Erkenntnissen abschwor. Am Radio hatten seine Getreuen unter nervöser Vernichtung etlicher Zigaretten und Espressi gelauscht auf das standhafte Zeichen der Wahrheit. Es war aber nicht Galileis Sache, fürs Wissen verbrannt zu werden. Eine gut gebratene Gans und ein feiner Wein sind für einen wie ihn gute Argumente fürs Überleben.
Der kleine Mönch (Julian Mehne) hat ihm auch deutlich gemacht, wie seine Lehre die einfachen, hungrigen Menschen verwirrt und ihnen den Glauben an die himmlische Gerechtigkeit raubt. Der zerbrechliche, der Wissenschaft zugetane Papst (fabelhaft: Tanja von Oertzen) weiß längst, dass seine Macht auf Täuschung beruht und dass Galilei der Androhung von Gewalt nicht gewachsen ist. Als mütterlich treue Seele macht Susanne Bredehöft als Haushälterin Frau Sarti gute Miene zum bösen Spiel. Die Pest in Florenz schert ihren gelehrten Herrn sowieso einen Teufel, obwohl er dann das Publikum fragen muss, wo’s noch was zu beißen gibt. Stefan Preiss gibt den schillernden Intriganten und hat einen kabarettreifen Auftritt als Wirtschaftboss Vanni, der klar das große Geschäft in den neuen Entdeckungen wittert und aussieht wie Berlusconi.
Mit temperamentvoller Italienitá spart die Aufführung ohnehin nicht. „Porca Madonna!“ – es darf geflucht werden zwischen katholischer Pracht, Spitzelmafia und naturwissenschaftlicher Revolution. Was wirklich ist, darf nicht wahr sein, entscheiden die einen. Was wahr ist, darf nicht wirklich werden, begreifen die anderen.
Der alte Galilei hat es am Ende verstanden: „Euer Fortschritt wird ein Fortschreiten von der Menschheit sein“. Ein eigensinnig ambivalenter Charakter, der seine Haut rettete, nachdem er dem Himmel die Stirn geboten hatte. Die Begeisterung für die offensichtlichen technischen Möglichkeiten und ihre destruktiven Folgen ist freilich nicht mehr zu stoppen. Als Brecht im amerikanischen Exil an der antiheroischen Fassung seines „Galilei“ arbeitete, war die Atombombe schon gefallen. Heute überrollen uns der elektronische und gentechnische Overkill. Die Licht-Umweltverschmutzung macht inzwischen Sterngucker-Reservate zu touristischen Highlights. Brauns listiger Galilei lächelt bitter mit scheinbar erloschenem Blick und ist an nichts schuld. Ein spielerisches Glanzstück mit hellgeistigen Nachtvisionen. Brechts vertrackte Dialektik als Komödie der dreisten Dummheit, der unüberwindlichen Lebenslust und des unaufhaltsamen Wissensdurs­tes ist hier exzellentes Theater mit bissigem Unterhaltungsfaktor. Entschieden sehenswert! E.E.-K.

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Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Im Programm bis nächste Spielzeit.
Die nächsten Termine:
31.03.12 // 15.04.12 // 18.04.12 // 22.04.12 // 28.04.12 //
4.05.12 // 6.05.12 // 13.05.12

Donnerstag, 11.10.2012

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