Momo - kultur 66 - Mai 2010

Zeit ist Leben: Momo im Jungen Theater

Sie braucht kaum etwas zu sagen; sie kann zuhören. Momo – alternierend mit wunderbar natürlicher Ausstrahlung gespielt von den elfjährigen Schülerinnen Justine Anthony und Jana Gerschlauer – ist einfach da: leise staunend, freundlich, ernst und unaufgeregt. Momo hat keine Familie und keine Geschichte. Sie ist plötzlich aufgetaucht in den Ruinen des alten Amphitheaters irgendwo in Italien (variables, schönes Bühnenbild: Laurentiu Tuturuga). Sie erzählt nichts, allein ihre Anwesenheit macht die Menschen fröhlich wie z. B. den grundsympathischen Straßenkehrer Beppo (Jan Herrmann) und den quirligen Fremdenführer Gigi (Julian Tejeda). Selbst der Wirt Nino (Robert Agnello) und der Maurer Nicola (Moritz Simons) begraben lachend ihren Dauerstreit. Wo Momo ist, gibt es nur Freunde. Man tanzt und feiert – bis die grauen Herren auftauchen, mit ihrem Zigarrenrauch alles vernebeln und die eben noch so muntere Gesellschaft frösteln lassen. Zeit wollen sie von den Menschen haben, denn Zeit ist Geld. Mit Spiel und schlichtem Glücklichsein verbrachte Stunden sind Zeitverschwendung; jede Minute gehört in die Zeitsparkasse. Aber was geschieht dort mit ihr und was ist überhaupt Zeit? Die große philosophische Frage nach dem Wesen der Zeit löst auch Michael Endes phantastischer Roman Momo nicht.
Aber dass ihre physikalische Messbarkeit und ihr in Stundenlohn umgesetzter Wert nicht ihren Kern trifft, wird sonnenklar in Andreas Lachnits spannender, geistreicher Inszenierung. Intendant Moritz Seibert hat den umfangreichen Text völlig neu für die Bühne bearbeitet. Ein Musical ist diesmal nicht daraus geworden, sondern ein wunderbar poetisches, einfallsreiches Theaterereignis. Zeitagent XYQ/384b (René Wedewart) braucht Zeit, um von seinen Hintermännern nicht mit Lebensentzug bestraft zu werden. Er ist selbst ein Gehetzter, der alle antreibt, um sich ihre kostbaren Minuten als Kapital zu sichern. Bald hat er fast das ganze Dorf im Griff. Friseur Fusi (sehr komisch: Andreas Lachnit) arbeitet im Akkord, der Maurer verzichtet auf seine Pausen. Nino schmeißt zum Schrecken seiner Gattin Liliana (Andrea Brunetti) seine treuen Stammgäste aus dem Lokal, weil sie zu wenig einbringen – Spaß macht kaum noch was, wenn nur noch der geldwerte Nutzen jeder Zeitinvestition zählt. Bibi-Girl (Caroline von Bemberg, auch in diversen anderen Rollen) ist das schauerliche Ergebnis des Konsumterrors. „Haben, mehr haben“, plärrt das überdrehte Püppchen im pinkfarbenen Röckchen (tolle Kostüme von Ausstattungsleiterin Brigitte Winter).
Wenn plötzlich das ganze Theater bevölkert ist von gesichtslosen grauen Herren (fast das ganze Erwachsenenensemble, angeführt von der Tänzerin Valerie Simmonds), muss dringend etwas geschehen. Glück­licherweise gibt es die weise alte Schildkröte Kassiopeia (als Puppe geführt von der Schauspielerin Linda-Moran Braun), die Momo auf den Weg bringt zu Meister Hora (Peter Devo Neumann). Kassiopeia ist die Entschleunigung in ihrer schönsten Form, Momo muss sich trotzdem beeilen, um die gestohlene Zeit von dem Zeitdiebe-Kartell zurück zu erobern. Doch sie kann viel wagen, weil sie Freunde unter den Kindern gewonnen hat. Paolo (Vincent Schön / Valentin Roche), Franco (Leopold Klieeisen /Julius Nebling), Massimo (Jakob Warsinski / Benedikt Geilenkeuser) lassen sich nicht einschüchtern. Beppo und Gigi haben sich ohnehin nur leicht infizieren lassen und für Abenteuer noch genügend Zeit behalten. Der Sieg über die graue Mafia ist dramatisch spektakulär. Muss man erlebt haben – die Zeit für einen Besuch der Vorstellung ist zweifellos gewinnbringend angelegt. Empfohlen für Zuschauer ab 7 Jahren. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: vorerst bis ????
Nächste Vorstellungen: 30.04./1.05./14.05./15.05

Montag, 07.02.2011

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