Il Barbiere di Siviglia

Il Barbiere di Siviglia von Gioacchino Rossini in der Oper: Köstliche Haarspalterei

Beim Finale des ersten Aktes hängen alle buchstäblich in der Luft. Hochgezogen an den Haarsträhnen, die Bühnenbildner Johannes Leiacker im ganzen Raum herumhängen lässt. Wallende Mähnen wie aus der Haarpflegemittel-Werbung dominieren auch den Hintergrund. Es geht ja wirklich um haarige Angelegenheiten in Gioacchino Rossinis komischer Oper Il Barbiere die Siviglia, die Philipp Himmelmann in Bonn herrlich witzig inszeniert hat.
Der Bariton Giorgos Kanaris ist ein stimmlich perfekter Figaro, der keine haarsträubende Pointe auslässt und nicht grundlos einen mit Harlekin­mus­ter gefütterten Mantel trägt Er ist dieser heiter bewegliche Spaßmacher der Commedia dell’arte, auf deren Tradition die Regie amüsant anspielt. Prächtig gelingt ihm sein „Largo al factotum“, mit dem er sich für alle Aufträge empfiehlt. Rasieren und Ondulieren scheint eher eine Nebentätigkeit dieses gewitzten Barbiers zu sein, der im Dienst der Schönheit und Liebe nicht ganz selbstlos auch mal Geschirr zertrümmert oder Schlüssel klaut. Dem Friseur vertraut man schließlich nicht erst heutzutage allerhand Intimitäten an. Hairstyling hat Konjunktur, Enthaarung vom Schädel bis zur Wade ebenfalls.
Selbstverliebt streicht sich junge Graf Almaviva ständig über seinen Blondschopf. Sogar wenn er die steile Mauer hinaufklettert, von der verlockend ein riesiger Zopf hängt wie im Märchen von Rapunzel. Almaviva weilt inkognito in Sevilla und hat sich Hals über Kopf verknallt in das Mädchen, das der alte Doktor Bartolo in seinem Haus gefangen hält. Der junge Tenor Tamás Tarjányi singt und spielt den eitlen Adelsspross einfach hinreißend. Ganz abgesehen davon, dass er sogar eigenhändig zur Gitarre greift, um als armer Student Lindoro die angebetete Rosina zu umgarnen – schauspielerisch köstlich ist auch sein Auftritt als alter Musiklehrer, der mit seinem enervierenden „Pace, gioa“ den Vormund des Mädchens fast zur Raserei bringt.
Ramaz Chikviladze im knallroten Anzug leiht dem Bartolo nicht nur seine üppige Bass-Stimme, sondern wagt auch ein wütendes Tänzchen mit dem Jungvolk, das den strengen Doktor schnöde zum Narren hält.
Mit leuchtendroten Perücken und clownesker Verkleidung ist die Sängerschar, die Almaviva für ein nächtliches Ständchen engagiert hat, anfangs aus dem Orchestergraben gekrabbelt. Der spielfreudige Herrenchor des Theaters Bonn, einstudiert von Ulrich Zippelius, ist immer perfekt zur Stelle, wenn’s brenzlig wird. Etwas heikel ist dabei die klangliche Balance zwischen dem vor den Graben gebauten Bühnensteg und dem Hauptschauplatz. Robin Engelen am Pult des tadellos schlank und transparent musizierenden Beethovenorchesters meistert die Herausforderung vorzüglich und spielt vergnügt mit, obwohl er irgendwann sogar seine Geldbörse opfern muss, damit der bestechliche Musiklehrer Don Basilio sein Maul hält. Martin Tzonev, skurril ausgestopft und gekrönt mit einem schwarzen Frisur-Ungetüm ist allen stimmlichen Tiefen seiner Basspartie ebenso gewachsen wie den Untiefen des frechen Versteckspiels, bei dem zumindest ordentlich was in seine Tasche fließt.
Einfach bis über beide Ohren verliebt erscheint die hübsche Rosina, die zwar regelmäßig die Haarfarbe wechselt, aber darunter einen eigenwilligen Kopf bewahrt. Die junge Mezzosopranistin Kathrin Leidig entzückt als mädchenhaftes Geschöpf, das außer Tüll und Seide auch echte Gefühle verlangt. In ihre zärtliche Kavatine „Una voce poco fa“ mischt sich durchaus ein Schuss Eitelkeit, zumal Rosina ja nicht untätig bleibt angesichts der Avancen des charmanten Jünglings. Wirklich hart trifft es die arme Haushälterin Berta, die mit allen Mitteln versucht, die Aufmerksamkeit ihres alten Herrn auf sich zu ziehen. Was die blutjunge Sopranistin Vardeni Davidian sängerisch und schauspielerisch aus dieser undankbaren Rolle macht, ist phänomenal. Ihr flogen zu Recht bei der Premiere die Herzen des Publikums zu.
Wobei die lustigen Kostüme von Gesine Völlm mit keck platzierten Herzchen ebenso ein besonderer Hingucker sind wie die gewellten Liegen im zweiten Akt, die frei in der Luft zu schweben scheinen. Alles wird bodenlose Spiegelei und Täuschung, nachdem der besoffene Soldat, als der Almaviva sich in Bartolos Haushalt eingeschlichen hat, von den Ordnungskräften nicht verhaftet, sondern mit höchstem Respekt entlassen wurde.
Etwas aus der Mode gekommen ist inzwischen die Nassrasur. Unter Figaros Regie wird sie freilich zu einer irren Schaumschlacht, bei der sich alle verzweifelt in der weißen Brandung aus Luft und Wasser tummeln. Natürlich sinken die aufgeblasenen Schaumgebirge so schnell in sich zusammen wie die Illusionen, mit denen hier alle unterschwelligen Enttäuschungen lustvoll kaschiert werden. Überschäumend war folglich auch der kaum enden wollende Premierenbeifall für das Inszenierungsteam, das fabelhaft munter agierende Ensemble und den musikalischen Esprit dieser fröhlichen Opern-Harlekinade. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Stunden inkl. einer Pause

Donnerstag, 26.09.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 18.04.2024 12:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn