Wie es euch gefällt - kultur 84 - März 2012

Wie es euch gefällt von William Shakespeare in den Kammerspielen – Flüchtlinge im Niemandsland

Shakespeares Wälder sind immer unheimlich. Im Wald von Arden hört man gelegentlich bedrohliches Hundegebell, Geräusche von Massenaufmärschen, Gewehrsalven und Bombeneinschläge. Von Herzog Frederic willkürlich verbannt worden sind der rechtmäßige Herzog, dessen Tochter Rosalinde und deren Geliebter Orlando. Regisseur David Mouchtar-Samorai nimmt die Situation der Vertriebenen und Verfolgten bitter ernst und legt über Shakespeares Komödie Wie es euch gefällt den Schatten der Nazi-Diktatur und des Holocausts.
Es ist kalt am Hof des Autokraten Frederic und kälter noch in der freien Natur, die im Bühnenbild von Christoph Rasche auf kahles Gestrüpp reduziert wird. In diesem winterlichen Irrgarten der Gefühle blüht nichts mehr. Hinter allen heiteren Verwirrungen und Identitätsmaskeraden lauert die nackte Überlebensangst. Shakespeares brüchiges Arkadien mit ironisch eingebauter Schäferidylle bleibt freilich ein mit viel hintergründigem Witz inszeniertes Spiel mit gleich zwei wunderbaren Narren. Allen voran Arne Lenk als melancholischer Philosoph Jaques, der nicht nur den geflügelten Satz „Die ganze Welt ist eine Bühne…“ zu sagen hat, sondern in einer hinreißenden Mischung aus munterer Misanthropie und scharfsinniger Sympathie die ganze Flüchtlingsgesellschaft aufmischt. Bodenständiger agiert Konstantin Lindhorst als Clown Prüfstein, der unverschämt klug und beweglich die Gedankenverlorenheit der hohen Herrschaften vorführt und sich das naive Land-Ei Audrey schnappt. Anastasia Gubareva spielt dieses schlichte Mädchen ebenso komisch wie die reizende Schäferin Phoebe, die ihren braven Silvius (Nico Link) schmachten lässt und den frech charmanten Jüngling Ganymed anhimmelt. Der missversteht ihre weiblichen Strategien gründlich genau, weil in seinen Kleidern die blitzgescheite Rosalinde steckt. Verena Güntner spielt überzeugend diese leidenschaftliche junge Frau, die männlich spröde ihrem Lover eine sprachlich brillant doppelbödige Liebeslektion erteilt. Mit flammenden poetischen Liebesergüssen schmückt ihr Orlando (Thomas Ziesch) den Wald und sieht vor lauter Bäumen nicht, dass das Objekt seiner Wünsche unmittelbar vor ihm steht.
Wolfgang Rüter gibt eindrucksvoll den demagogischen Herrscher und dessen geächteten Bruder, der sich in der Einöde fürstlich bedienen lässt, als ob’s nur ein Erholungsausflug vom höfischen Dasein sei und die politische Vernichtung ein bald vergessener harmloser Jux. Als hellsichtiger Gefährte und Sänger in der Wüste fungierte bei der Premiere als Einspringer für den erkrankten Hendrik Richter der großartige Hanno Friedrich (vielen Bonner noch bekannt als ehemaliges Mitglied des Schauspiel-Ensembles und inzwischen im Wiener Burgtheater ebenso beliebt wie im TV-Geschäft).
Für Rosalinds schwesterlich freiwillig vom Hof geflohene Freundin Celia, Tochter des Despoten, gibt es in der Geschlechter-Kampfzone Einiges zu lachen. Maria Munkert gibt dieser Figur im eleganten weißen Mantel (ansonsten herrscht stumpfes Graubraun vor bei den Kostümen von Urte Eicker) eine schillernde Garçonne-Verwegenheit. Die Frau als Mann interessiert sie mehr als echte Männer. Als robuster Ringer Charles, der Orlando im Schaukampf (hier ins unsichtbare Sportpalast-Off verlegt) unterliegt, macht Ralf Drexler gute Figur. Im Schafspelz auf Stelzen verkörpert er den alten Corin, der gegen Geld dem noblen weiblichen Paar Unterschlupf gewährt und das putzige Schäferpärchen Silvius und Phoebe bewacht. Ab und zu kläffen nur treue Schäferhunde. Das ist jedoch nicht mehr unterscheidbar vom Wolfsgeheul, das die kleine Herde, die da verzweifelt in einem grotesken Tanz ihre intellektuelle Liebes-Lebenslust behauptet, vor Schreck erstarren lässt, bevor sie zur Anfangsposition zurück­kehren.
Shakespeares absurdes Happy-End mit plötzlicher Bekehrung aller Bösen und vier Hochzeiten ist gestrichen. Im unter die Haut gehenden Schlussbild klammern sich alle wie eine schutzsuchende Schafherde aneinander. Ihre kunstvollen Widersprüche und schönen Illusionen sind vorbei und verspielt. Keine guten Aussichten. Aber eine mutige, höchst unterhaltsame Inszenierung voller Zweifel an der Weltbühne, auf der einige – wie es ihnen gefällt – andere zum endgültigen Abtritt zwingen. E.E.-K.

******
Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Im Programm bis ???
Die nächsten Termine:
02.03.12 // 11.03.12 // 18.03.12 //
25.03.12 // 1.04.12 // 19.04.12

Dienstag, 09.10.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 16.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn