Nathan der Weise (Kleines Theater) - kultur 74 - März 2011

Grenzen der Utopie: Nathan der Weise im Kleinen Theater

In „hundert schönen Farben“ schimmert der Opal an dem berühmten Ring, dessen Kraft nur zu erweisen ist, wenn jeder ihr „mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott“ zu Hilfe kommt. Walter Ullrich als weiser Jude Nathan erzählt die große Parabel mit der klugen Nachsicht dessen, der mit sicherem Blick auf die Wirklichkeit scheinbare Wahrheiten nicht mehr braucht. Er ist kein naiver Idealist, der sich auf die mittlerweile zur Banalität verkommene Toleranz einlässt, sondern führt schlicht einen logischen Beweis für die Gleichwertigkeit aktiv mitmenschlich gelebter Religionen. Er fordert nichts und verlässt sich auf die ­glück­­liche Komödienfügung, die am Ende eine zufällige Blutsverwandtschaft konstruiert, die die aufklärerische Rationalität gleichzeitig untermauert und ad absurdum führt.
In ihrer neuen Inszenierung im Kleinen Theater Bad Godesberg erlaubt sich die junge Regisseurin Stephanie Jänsch deshalb am Schluss einen deutlichen Zweifel an der allgemeinen Versöhnung. Während das islamische und das christliche Geschwisterpaar selig den Sternenhimmel betrachten, schaut der einsame Jude Nathan nach vorn. Seine schöne Vision vom friedlichen zivilisierten Umgang miteinander ist nicht Wirklichkeit geworden, wie die vom Band eingespielten Nachrichten aus dem 21.Jahrhundert beweisen.
Die „silberne Abstraktheit“ (Friedrich Dürrenmatt) von Lessings letztem Theaterstück ist ansonsten sorgfältig verankert in einer geistreich und zugleich erfrischend pathosfrei präsentierten Geschichte. Die Aufführung bewahrt das poetisch Märchenhafte, umspielt humorvoll die Grenzen der Utopie und stellt den Wert selbstverständlicher Menschlichkeit ganz nach vorn. Zum Nichtselbstverständlichen gehört dabei unbedingt die Klarheit, mit der die Blankverse des „Dramatischen Gedichts“ sich entfalten dürfen. Jedes Wort ist verständlich in der Strichfassung von Karl-Heinz Stroux, die bereits der Inszenierung am Kleinen Theater vor zehn Jahren zugrunde lag. Damals war Stephanie Jänsch hier Regieassistentin; inzwischen hat sie u.a. am Staatstheater Braunschweig etliche Stücke auf die Bühne gebracht. Prinzipal Walter Ullrich hat ihr deshalb seinen neuen „Nathan“ anvertraut, mit dem er einen Tag nach der Vollendung seines 80.Lebensjahres eine umjubelte Premiere feierte.
Das schöne Bühnenbild von Charles Copenhaver mit Ruheplatz unter einer zerzausten Palme und drehbaren Architekturelementen mit Kreuz und orientalischen Bogenformen erlaubt schnelle Schauplatzwechsel in Lessings fiktivem Jerusalem des späten 12.Jahrhunderts, wo Juden, Christen und Muslime in einem fragilen Frieden zusammenleben. Walter Ullrich spielt die ihm ans Herz gewachsene Titelrolle mit geradezu heiterer Gelassenheit. Ein wohlhabender, erfahrener Weltbürger, der mit freundlicher Ironie all die ‚Wunder’ betrachtet und sie auf die Natur menschlichen Verhaltens zurückführt. „Kein Mensch muss müssen“, erklärt er lächelnd dem aufgeregten Derwisch (als energischer Wirbelwind: Peter Nüesch), der sich munter nach Indien verabschiedet. Es ist das „ Ich will“, mit dem Nathan im schrecklichsten Moment seines Lebens, als Christen seine ganze Familie auslöschten, sein Schicksal annimmt. Ullrich gestaltet die Hiobsszene mit leiser Eindringlichkeit, die tief unter die Haut geht.
Ingo Heise ist der trotzige, jugendlich idealistische Tempelherr, der in seiner überschwänglichen Gefühlsverwirrung den verehrten Nathan in Lebensgefahr bringt. Lothar Didjurgis spielt den christlich fundamentalistischen Patriarchen im feuerroten Gewand (Kostüme: Sylvia Rüger), der unbedingt den Juden brennen sehen will. Manfred Molitorisz gibt den Sultan Saladin, der freigiebig verschenkt, was er seinem Volk abgepresst hat. Ein leicht melancholischer Herrscher mit spielerischer Distanz zu Glauben, Geld und Macht, den seine blitzgescheite Schwester Sittah (Susann Fabiero) gelegentlich zur Raison bringen muss. Ein einfaches Gemüt mit moralischem Rückgrat ist der dienstbeflissene alte Klosterbruder (Theo Gündling). Als Erzkomödiantin glänzt Ursula Michelis in der Rolle der Daja, die ihr Christentum ebenso beharrlich wie bestechlich vor sich herträgt. Ihren Schützling, Nathans Ziehtochter Recha, spielt Anna Julia Kapfelsperger entzückend mädchenhaft. Wunderbar zärtlich sind die Szenen mit ihrem verständnisvollen geistigen Vater.
Ovationen für den Schauspieler Ullrich und sein homogenes Ensemble, das mit hohem Respekt vor dem Werk und feinem Witz sehr lebendig diese Commedia humana präsentierte.

Mit einem veritablen Feuerwerk gratulierten die Freunde des Kleinen Theaters dem Intendanten einen Tag vor der Premiere zum Beginn seines neuen Lebensjahrzehnts. Prominentester Ehrengast bei der Feier zu Walter Ullrichs 80.Geburtstag war der ehemalige Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher. Große Reden hatte der Jubilar sich verbeten. Die Verlogenheiten der Bonner Politik muss er sich nicht mehr anhören, wenn eine Institution wie ein Kleines Theater nach mehr als 50 Jahren erfolgreicher Arbeit deutlich auf der finanziellen Abschussliste der Stadt steht, weil es vor allem fürs treue Publikum und Neulinge spielt, die klassisches Dramaturgie-Handwerk postdramatischen Experimenten vorziehen. Tusch für Walter Ullrich, der souverän seinen Stil pflegt.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 ¼ Std., eine Pause

Donnerstag, 17.11.2011

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