Blick auf den Hafen - kultur 58 - Juni 2009

Familienszenen II - Blick auf den Hafen, deutschsprachige Erstaufführung von Richard Dresser in der Halle Beuel

Nick verdient sein Geld als einfacher Fabrikarbeiter. Seine Freundin Paige, wohlhabendes Mädchen aus gutem Haus, sozial engagiert, gewerkschaftlich aktiv, findet das toll und männlich sexy. Nick und Paige machen einen Ausflug aufs Land, um seinen nach einem Schlaganfall todkranken Vater Daniel zu besuchen. Der haust mit seiner unverheirateten Tochter Kathryn, Nicks älterer Schwester, in einer verwahrlosten Villa am Meer, in der die Ratten längst das Regiment übernommen haben. Den Abbruch kann man sich sparen, die Flut an der Steilküste wird das bald von allein erledigen. Die spektakuläre Aussicht auf den Hafen ist mit Brettern vernagelt, weil Nicks verstorbene Mutter angeblich kein Licht vertrug. Doch die Armut der Familie ist eine Täuschung; die Townsends gehören zur Finanz-Elite der USA. Die Townsends leben vollkommen asozial, weil sie so unermesslich reich sind, dass sie alles haben, aber mit Menschen nicht mehr umgehen können.
Von den armen Superreichen, die mit ihrem Geld nichts mehr anfangen können, in der Fülle verhungern und den alten Jeep aus purem Geiz nicht reparieren lassen, während der Privatjet stets in Bereitschaft steht, handelt das Stück Blick auf den Hafen von Richard Dresser. Es ist der letzte Teil seiner Trilogie The pursuit of Happiness, die Glückssucher in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten präsentiert. Der amerikanische Autor Dresser (*1951 in Massachusetts), gehört zu den kritischen Analytikern der sozialen Verwerfungen in den USA des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts wie Tony Kushner, David Mamet und Neil LaBute. Einen ähnlichen Glücksgriff wie mit LaButes folgenreichem Wie es so läuft hat Generalintendant Klaus Weise jetzt mit dem absurden Blick auf den Hafen getan, dessen deutschsprachige Erstaufführung in der Halle Beuel er selbst inszeniert hat.
Für die surreale Atmosphäre sorgt das transparente Bühnenbild von Manfred Blößer mit freistehender Fliegengitter-Tür, Moskitonetz fürs schäbige Gästebett und Kellerloch für die Gespenster der Vergangenheit.
Herrscher in dem düsteren, verrotteten Haus ist Daniel, mit stupender Wandlungsfähigkeit verkörpert von Bernd Braun. Anfangs ein gebrechlicher, leicht verwirrter alter Patriarch. Seine Feindseligkeit mutiert zum hinterhältigen Zynismus. Doch die Anwesenheit der hübschen, tüchtigen Paige scheint ihn zusehends zu verjüngen. Den Gehstock braucht er bald nicht mehr, erscheint triumphierend im Schottenrock (Kostüme: Fred Fenner) und schließlich als eleganter Businessmann, der seine ökonomische und politische Macht lässig genießt. Kathryn ist in den Familientraditionen erstarrt. Katharina von Bock (Gast im Bonner Schauspiel-Ensemble) spielt die unter der väterlichen Fuchtel lebens- und liebesunfähig gewordene stolze Erbin eines Imperiums. Zwischen Frustration und unerschütterlichem Selbstbewusstsein gibt es für sie keinen Ausweg.
Aus dem geschlossenen Kreislauf ist Nick ausgebrochen, um ein ‚normales’ Leben zu führen. Yorck Dippe spielt psychologisch ungemein präzis den sympathischen Möchtegern-Proletarier, der langsam aber sicher wieder in die Fänge seiner Familie gerät. Dagegen behauptet sich mit unerschütterlichem Optimismus, natürlichem Charme und gelegentlich spärlicher Bekleidung Philine Bührer als Paige. Sie macht in knappen Shorts unbekümmert gute Miene zum bösen Spiel, sorgt für anständige Frühstücke, frischen Wind und erotische Spannung. Am Ende steigt sie im schicken schwarzen, gewagt kurzen Kostüm als perfekte Businesslady mit Daniel ins Flugzeug nach Washington. Der trägt jetzt beim federnd elas­tischen Gang die schwarzen Chucks, mit denen Nick ankam. Nick hat seine Jeans gegen einen ordentlichen hellen Anzug eingetauscht und die Turnschuhe gegen feines Leder.
Bruder und Schwester werden das Haus hüten, und das Glückssucherkarussell dreht sich unerbittlich weiter. Klaus Weises vielschichtige Inszenierung mit einem blendend guten Darsteller-Ensemble setzt zum Ende dieser Saison noch mal ein Glanzlicht, das man nicht verpassen sollte. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1 ½ Std., ohne Pause
Im Programm bis: 04.07.09
Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit.

Donnerstag, 14.01.2010

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