Des Landes verwiesen - kultur 57 - Mai 2009

Aufstand der toten Dichter - Des Landes verwiesen von Juan Allende-Blin im Alten Malersaal

Ein harmloses Treffen mit Freunden. Doch der lange Tisch ist ein Rollband, das zu Flammen führt, in denen Bücher brennen. Albert Ehrenstein, Carl Einstein und Erich Mühsam gehörten zu den deutschsprachigen Schriftstellern, die im Dritten Reich mundtot gemacht wurden und denen der chilenische, in Deutschland lebende Komponist Juan Allende-Blin in seinen 1978 uraufgeführten konzertanten und szenischen Aktionen Des Landes verwiesen eine Stimme gegeben hat. Der junge Regisseur Florian Lutz (*1979) hat in der Reihe „Bonn Chance!“ eine neue Interpretation des vielschichtigen Werkes gewagt. Ausstatterin Andrea Kannapee hat den Alten Malersaal in eine Raumbühne mit vielen Schauplätzen für Albträume verwandelt.
„Im Traum schon starb ich“, singt der Tenor Mark Rosenthal, der mit ungeheurer Intensität das Leid der Vertriebenen beschwört. Mezzosopranistin Anjara I. Bartz berichtet mit ironischer Zärtlichkeit vom bedenklichen Zustand Ehrensteins, der 1950 in einem New Yorker Armenhos­pital starb. Eine schwangere junge Frau (die Schauspielerin Birte Schrein) und ein Mann (Roland Silbernagl, dem Bonner Publikum aus dem Pariser Leben bekannt) schleppen Kisten mit geretteten Büchern herbei. Man liest sich Passagen daraus vor (Libretto/Textcollage: der französische Autor Jean Pierre Faye), die riesige Mauer im Hintergrund füllt sich mit Menetekel-Wörtern, bevor sie zusammenkracht. Ihre Quader werden zu Ho­ckern für das Publikum, das Silbernagl mit einer Agitationsrede des Anarchis­ten Mühsam („Gleiches Recht für alle!“) zu einem revolutionären Glas Rotwein auf die Bühne bittet. Was weniger Mitmach-Oper ist, als eine raffinierte Umkehrung der Perspektive. Von unten erlebt man die bestürzenden Nachrichten von Einsteins Selbstmord, Mühsams und Garcia Lorcas Ermordung und ­Pablo Nerudas Begräbnis kurz nach ­Pinochets Militärputsch 1973.
Leider wird die differenzierte, anspielungsreiche Musik – feinsinnig und konzentriert gespielt von Mitgliedern des Beethoven-Orchesters unter der Leitung von Christopher Sprenger – zu sehr überlagert von dem szenischen Aktionismus und der Bilderflut. Flötistin Mariska van der Sande hat einen äußerst anrührenden Auftritt als fremde Frau aus dem Ghetto. Kontrabassist Frank Geuer wird von einem Folterknecht zu einem Solo gezwungen. Pianist Tobias Engel repräsentiert im bonbonfarbenen Jogginganzug die jüngere Generation, die all die Schrecken längst vergessen hat.
Trotz einiger kopflastiger Verwirrungen eine Inszenierung, die sich ins Gedächtnis einbrennt und die Notwendigkeit solcher musiktheatralischer Experimente beweist. Auch wenn „Bonn Chance!“ wegen mangelnder Finanzen aus der Bundeskunsthalle verwiesen wurde. E.E.-K.

War nur bis zum 23.04.09 auf dem Spielplan.

Donnerstag, 07.01.2010

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