L’elisir d’amore (Der Liebestrank) - kultur 65 - April 2010

Wellness-Oase mit Glücksgarantie: L’elisir d’amore in der Oper

Nemorino geht buchstäblich auf die Palme: Keinen Blick hat seine heiß geliebte Chefin Adina für den hübschen jungen Mann mit grüner Latzhose übrig, der zwischen Liegestühlen und Kneipp-Becken den Müll der Wellness-Gesellschaft einsammelt. Aus der italienischen Dorfidylle von Donizettis 1837 uraufgeführter komischer Oper hat Regisseurin Vera Nemirova eine Schönheitsfarm am Strand gemacht. Auf dem goldenen Sand (Ausstattung: Werner Hutterli) tummeln sich die modernen Glückssucher, die sich für viel Geld Pfunde abhungern und Idealfiguren antrainieren. Notfalls helfen Pillen oder chirurgische Maßnahmen. Ohne mühsam erarbeitete Schönheit kein Erfolg nirgends. Der Fitness-Wahn regiert das Refugium der Wohlfühl-Gäste, angefeuert von der brillanten Susanne Blattert als Club-Ani­matorin Gianetta. Nemirova, die demnächst in Frankfurt Wagners Ring und bei den Salzburger Festspielen Bergs Lulu inszeniert, überträgt Donizettis Satire auf die Leichtgläubigkeit schlichter Bauern in die Welt des heutigen Körperkults mit seinen leeren Sinnversprechungen. Das geht zur Musik – unter der sorgfältigen Leitung von Christopher Sprenger am Pult des spritzig animierten Beethoven Orchesters Bonn – sehr präzis auf. Jeder ironische Kommentar aus dem Graben hat seine Entsprechung auf der Bühne.
Tansel Akzeybek mit seinem beweglichen, schlanken Tenor (alternierend mit dem stimmlich noch etwas strahlkräftigeren Mirko Roschkowski) hat genau die jungenhafte Ausstrahlung des schlichten Burschen Nemorino, der bis über beide Ohren verknallt ist, aber sich an die Angebetete nicht rantraut. Die berühmte Romanze „Una furtiva lagrima“ im zweiten Akt singt er so hinreißend, dass Adina einfach dahin schmelzen muss. Was sie zu diesem Zeitpunkt freilich längst will. Die seit Jahren in Bonn sehr beliebte Sopranistin Sigrún Pálmadóttir (alternierend mit Julia Novikova) ist im schicken Bade-Outfit eine Erscheinung mit Top-Model-Qualitäten. Mit spielerischer Koketterie und stimmlicher Finesse lässt sie ihre Verehrer zappeln, bevor sie schließlich doch ihr Herz für den sympathischen, tapferen Nemorino entdeckt und seinen Liebeskummer mit zärtlichen Tönen beendet. Dass in der banalen Pet-Flasche mit dem Zaubertrank, den Nemorino dem Scharlatan Dulcamara für teures Geld und schließlich sogar für den Sold in Belcores Marinetruppe abgekauft hat, nicht mal billiger Wein, sondern nur klares Wasser war, ist ein hübscher Regie-Kunstgriff. Nemorino muss hier nicht besoffen rumstolpern und den Deppen geben, er glaubt ganz einfach stock­nüchtern an die Wirkung des kostbaren Elixiers. Was bekanntlich die beste Medizin ist.
Der spielfreudige Bass Martin Tzonev mischt als reisender Wunderdoktor Dulcamara im Wohnmobil die Glückssüchtigen am flachen Pool mit allerhand bittersüßen Mittelchen auf. Lust durch Pullen und Ampullen ist das Geschäft des von reizenden Blondinen umgebenen Beauty-Schöpfers. Für eine Dosis Botox oder eine Fettabsaugung verschwinden einige von Adinas Gästen denn auch gleich in der Behandlungskabine des Body-Designers. Wobei der ständig herumturnende Plastinat-Mann (der Tänzer Olaf Reinecke) kein überzeugendes Werbemedium für die seligen Körperwelten ist, sondern eher ein drastischer Vanitas-Verweis.
Als Traumschiff-Kapitän Belcore macht der Bariton Giorgios Kanaris (alternierend mit Lee Poulis) ebenso gute Figur wie seine flotte Matrosenschar. Sportliche Jungs in Uniform sind halt immer noch anziehender als langweilige Typen in schlabbrigen Jogging-Anzügen. Belcore braucht also nur eine kleine Charme-Offensive, um Adina in den Hafen der Ehe zu lo­cken.
Glücklicherweise hat diese Frau selbst im Hochzeitsgewand noch ebenso viel Verstand wie Gefühl. Mit dem eitlen Kapitän, der morgen schon wieder neue Ziele ansteuert, wird das nichts. Dass der kleine Nemorino wegen einer angeblichen reichen Erbschaft plötzlich Hahn im Korb ist und Adina scheinbar nicht mehr beachtet, stachelt ihren Ehrgeiz an. Ganz ohne Placebo-Wässerchen und Quacksalberei – sie will genau und bei klarem Bewusstsein den Mann, der ihr Herz ehrlich verdient. Natürlich ist eine verstohlen vergossene Träne nicht gleich das Allheilmittel. Aber wenn die beiden selbstvergessen durch das Wasserbecken stapfen und ihr Liebesglück besingen, bleibt kein Auge trocken. Egal, ob vor Lachen oder vor pseudoromantischer Rührung.
Hervorragend präsentiert sich in diesem geist­reichen Spiel um das Verlangen nach äußerem Schein und die Angst vor dem inneren Begehren der diesmal von Ulrich Zippelius einstudierte Chor. Allein der Bußgang zur Waage ist schon ein komisches Schaustück (Choreographie: Bärbel Stenzenberger). Wie die ganze vergnügliche, musikalisch tadellose Inszenierung mit ihren lustvollen Seitenhieben auf den Albtraum von ewiger Gesundheit und Schönheit. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 2.07.10

Samstag, 05.02.2011

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