Don Karlos (Kammerspiele) - kultur Nr. 52 - 12/2008

Gedankenfreiheit und Staatsgewalt - Don Karlos von Friedrich Schiller in den Kammerspielen

Es ist kühl in Philipps Spanien. An seinem Königshof wird jeder Schritt beobachtet. Briefe werden gefälscht, abgefangen oder als Beweismittel gehortet. Im Bühnenbild von Ariane Salzbrunn verschieben sich ständig mächtige Wände mit Fenstern und Spiegeln, die Blicke freigeben oder verdoppeln. Immer hört jemand mit oder treibt sich schattenhaft verstohlen herum. Wenn es gegen Ende eng wird für die Figuren des fatalen Spiels, heben und senken sich die Mauern und geben bedrohlich nur noch einen schmalen Raum frei.
So klar und präzise wie diese schlüssige Bühnenkonstruktion ist auch die Inszenierung von Stefan Heiseke. Der Regisseur präsentiert Schillers erstes klassisches Versdrama Don Karlos, Infant von Spanien in den Kammerspielen als höchst spannenden politischen Krimi. Er gibt den Personen eine sorgfältig durchleuchtete psychologische Tiefenschärfe, vertraut Schillers Sprache und sortiert die komplex verwobenen Handlungsfäden des Textes sehr genau. Keine modernistische Dekonstruktion also, sondern die respektvolle Besichtigung eines historischen Werkes, das dadurch eine eindrucksvoll zeitlose Direktheit gewinnt.
Arne Lenk spielt in jeder Sekunde überzeugend den Kronprinzen Don Karlos: ein verträumter jugendlicher Hitzkopf, von seinem Vater, König Philipp dem Zweiten, nicht ganz ernst genommen und politisch kalt gestellt. Mit seinen immer ziemlich ungekämmt wirkenden Haaren und dem lässig aus der Hose hängenden Hemd passt er nicht in die strenge Hofetikette. Die Beförderung der politischen Freiheit in den revoltierenden Niederlanden macht er zwar begeistert zu seinem Anliegen, doch seine eigentliche Antriebskraft ist die hoffnungslose Liebe zu seiner jungen Stiefmutter Elisabeth. Birte Schrein spielt diese im europäischen Machtkampf an den ungeliebten Herrscher verschacherte Frau glänzend. Sie bewahrt bei allen Demütigungen eisern königliche Haltung, lässt ihr empfindliches Herz unter dem wie eine Rüstung getragenen Gewand (Kostüme: Uta Heiseke) aber mit feinsten schauspielerischen Nuancen aufscheinen. Ihre Elisabeth leidet sichtlich, hat freilich ihre Rolle klaglos akzeptiert. Auch wenn sie schließlich sehr einsam zugibt: „Ich schätze keinen Mann mehr.“
Dazu gebracht hat sie der von seinen eigenen Schachzügen zum Sterben verurteilte Marquis von Posa. In der Darstellung des exzellenten Volker Muthmann ist dieser Kämpfer für die Menschheitsutopie weniger ein strahlend idealistischer Held als ein zwielichtiger Intellektueller. Seiner schmalen Erscheinung und seinen pomadig schwarzen Haaren haftet ein Hauch von romantischer Überheblichkeit an. In dem zentralen Dialog mit Philipp scheint er eher die Macht seiner Eloquenz zu genießen als die tatsächliche Überzeugungskraft seiner Argumente. In den Fallstricken der ihm plötzlich zugefallenen Macht kann sich dieser eitle Revolutionär und Prinzenfreund nur tödlich verheddern. Dass er sein Leben dem großen Zweck opfert, bleibt hier merkwürdig untragisch. Dass er die zur Gefahr für seine Pläne gewordene Prinzessin von Eboli (wunderbar: Nicole Kersten als zwischen den echten Gefühlen und der verlogenen Moral des Hofes Zerriebene) kalt abschießt, ist plausibel. Steht zwar nicht im Text, aber auch bei Schiller geht der Marquis nicht gerade zimperlich mit der Dame um.
Der wirklich tragische Held ist der großartige Bernd Braun als alter König Philipp. Einen Menschen hat von der guten Vorsicht er erfleht, einen Posa hat er bekommen. Wie er vom unerschütterlichen Despoten zum gebrochenen Zweifler wird, die Last der Verantwortung auf den fröstelnd hochgezogenen Schultern trägt, seinen feurigen Sohn eisig abfertigt, nach Liebe verlangt und seine vermeintlich untreue Gattin brutal verhöhnt, ist eine eindrucksvolle Studie über den Irrsinn der Macht. Aus seiner Ohnmacht und Selbstvergessenheit nach der Enttäuschung erwacht er als umso schrecklicherer Herrscher: „Unterwerfung will ich sehen.“
Yorck Dippe als glatzköpfiger, ehrgeiziger Alba spielt hinter Philipps Rücken sein eigenes Spiel. Wolfgang Rüter behält als ernsthafter Lerma Anstand und Würde. Tugsal Mogul als kleiner Beichtvater Domingo ist ein williges Werkzeug aller weltlichen Intrigen. Den religiösen Fundamentalismus dahinter spart die Aufführung, deren elektrisierende Hochspannung nach der Pause etwas abfällt, allerdings aus. Der Großinquisitor (Rolf Mautz), der in Schillers Drama am Schluss die Macht des Königs ad absurdum führt, taucht im heutigen hellen Straßenanzug auf wie ein Verwaltungsmanager. Kein Kirchenfürst, sondern ein Macher, der den von Philipp in seine Hände gegebenen Fall Karlos kurz und schmerzhaft erledigt.
Was der gelungenen Inszenierung freilich nicht schadet. Zumal die vielen Abiturienten in NRW, für die Schillers Don Karlos demnächst Prüfungsstoff im Fach Deutsch ist, in den Kammerspielen eine hervorragende Vorleistung bekommen. Note: Eins+! Was allerdings auch Menschen jenseits des Oberstufenalters anlocken sollte. Die lange Vorstellung ist nämlich unbedingt sehenswert.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3½ Std., eine Pause
Im Programm bis: ??????

Freitag, 26.02.2010

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