Die Grönholm-Methode - kultur 51 - November 2008

Crashtest für Top-Manager - Die Grönholm-Methode von Jordi Galceran im Contra-Kreis-Theater

Frau Bellinghausen wird Herrn Weigand irgendwann sehr deutlich machen, worum es geht bei der Rekrutierung von Führungskräften: „Wir suchen nicht einen guten Menschen, der nach außen ein Arschloch ist. Was wir suchen, ist ein Arschloch, das nach außen ein guter Mensch ist.“ Womit die hoch intelligente, außerordentlich spannende ‚Business-Komödie’ im Contra-Kreis freilich noch keineswegs zu Ende ist, denn im Kampf um die hochdotierte Spitzenposition in einem internationalen Konzern ist jeder Satz eine mögliche Falle und jedes Wort eine gefährliche Waffe. Und Die Grönholm-Methode des 1962 geborenen katalanischen Autors Jordi Galceran ist unversehens zum ironischen Kommentar zur aktuellen Weltwirtschaftskrise geworden. Das erfolgreiche Stück des Verfassers zahlreicher Film- und Fernsehdrehbücher und mit vielen Preisen ausgezeichneten Dramatikers wurde 2003 in Barcelona uraufgeführt und ist derzeit aus guten Gründen auf etlichen deutschen Bühnen zu sehen. Der Regisseur Folke Braband (zum ersten Mal am Contra-Kreis tätig) inszeniert diesen raffinierten Psychokrimi aus der schönen neuen Wirtschaftswelt als hinreißend witziges, brillantes Schauspielertheater.
Vier Kandidaten – eine Frau und drei Männer, also quotenmäßig ziemlich korrekt – für einen lukrativen Managerposten finden sich ein zur Endrunde im Bewerbungsmarathon. Ihre fachliche Qualifikation haben sie in den Vorrunden offenbar bewiesen, aber einer muss sich durchsetzen in dem kühlen stahlgrauen Raum mit magentafarbenem Teppich und einem Wandelement (Ausstattung: Tom Presting), in dem sich regelmäßig eine ferngesteuerte Schublade öffnet, um das Quartett mit neuen Spielaufgaben zu versorgen. Natürlich werden sie von den anonymen Regisseuren aus der Personalabteilung beobachtet, denn Headhunter schauen genau hin beim Verhalten in Stress-Situationen, analysieren Gesprächsstrategien, Teamfähigkeit, soziale Kompetenz und Leistungsmotivationen. Schauspielerisches Talent ist durchaus gefragt bei der Selbstpräsentation bissiger Top Dogs. Jeder weiß, dass alle in der Arena mit Schein und Sein jonglieren und dass jede noch so minimale Geste zählt. Keiner weiß jedoch, was wirklich zählt für den erhofften Sieg als vielversprechendes Humankapital. Brutalität oder Sensibilität, Bauchgefühl oder Scharfsinn – vor dem Richterstuhl des Arbeitsmarktes sind alle gleich: Personifizierter Cash-Flow mit hohem Verlustrisiko. Es gibt klare Spielregeln: Wer den Raum verlässt, ist endgültig draußen. Erlaubt ist alles, was die eigene Position stärkt. Wer den Job erobert, kann beim Jahresgehalt wahrscheinlich die Quersumme seines Geburtsdatums mit 100.000 (Dollar oder Euro spielen dabei kaum eine Rolle) multiplizieren bzw. sein Geldvernichtungspotenzial durch sein Golfhandicap dividieren, bis die Börsenindexe im freien Sturzflug sogar das teure Black-­ ­berry abschalten.
Klaus Zmorek (in der Ära Eschberg Mitglied im Ensemble des städtischen Schauspiels) ist der Siegertyp Sebastian Weigand. Ein knallharter, zynischer Macho mit scheinbar unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Ute Willing ist die elegante, kühle Hochleistungs-Managerin Fiona Bellinghausen, die in jeder Lage eisern Haltung bewahrt. Udo Thies als junger Aufsteiger Erik Petzold darf die Toleranzgrenzen seiner Mitspieler austesten. Thomas Gimbel als feis­ter Gemütsmensch Richard Möhrle kann bei der Weltläufigkeit seiner Gegner nicht ganz mithalten, könnte aber auch der anfangs gesuchte professionelle Irrläufer sein. Die erste Aufgabe lautet nämlich: Herausfinden, wer der von der Firma eingeschleuste Spion ist. Alle sind verdächtig, jeder maskiert sich blendend gut. Beim grotesken Rollenspiel – wer als Torero, Politiker, Clown oder Bischof den rettenden Fallschirm des abstürzenden Fliegers erobert, hat gewonnen – setzt sich auf dem rotierenden Bürostuhl der geistliche Seelenhirte Weigand brachial durch.
Drei werden das Feld räumen müssen. Doch bis dahin steigert sich der Kampf in immer neue dramatische Volten, bis schließlich niemand mehr weiß, von welcher Wirklichkeit er gerade eingeholt wird. Sicher ist nur: Exzellente Spieler sind alle vier, die da mehr oder minder gute Miene zum bösen Spiel machen. Vor allem sind sie jedoch großartige Schauspieler, die souverän ihren eher eindimensionalen Typen individuelle Brüche, Verletzlichkeiten und Ängste zuspielen und damit aus den Figuren vielschichtige Menschen machen. Obwohl diese Menschlichkeit möglicherweise auch nur ein abgekartetes Spiel aus der Hexenküche der Firmenpsychologie ist. Die Eingeschlossenen von Grönholm – ein Experiment am lebenden Objekt und ein blitzgescheites Theatervergnügen mit darstellerischem Feinschliff. Auf dem Boulevard der sozialen Marktwirtschaft ein realsatirischer Mehrwert, den man sich nicht entgehen lassen sollte! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Nächste Aufführung: täglich
Im Programm bis: 09.11.08

Samstag, 02.01.2010

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