Das Treibhaus - kultur 51 - November 2008

Tod in Bonn - Das Treibhaus von Wolfgang Koeppen in der Werkstatt

Selbst dem „Spiegel“ war’s eine Nachricht wert: In Bonn kommt zum ersten Mal Wolfgang Koeppens 1953 erschienener Roman Das Treibhaus auf die Bühne. Dieser sprachgewaltige, bitter ironische Blick auf die Anfänge der Bonner Republik, wo die Schauer der Vergangenheit verdunsteten und die blutjunge Demokratie ihre Hände in Unschuld wusch, bevor sie sich zum kalten Krieg aufrüstete. Der erste Teil von Koeppens mit Tod in Rom beendeter Trilogie des Scheiterns, Tauben im Gras, war bereits in der Spielzeit 2005/06 in der Werkstatt zu sehen. Der zentrale Mittelteil ist ein von blitzartigen Assoziationen durchschossenes monologisches Textgewebe. Im schwülen rheinischen Treibhaus ist das Gerede ein unendlicher Fluss ohne wirkliche Dialoge.
Der Regisseur Frank Heuel lässt ihn zwischen vier, zwischen auf dem Boden verstreuten vergilbten Polaroids starr auf schlichten Bürostühlen (Ausstattung und Videos: Annika Ley) hockenden Schauspielern und einer beobachtend am Rand stehenden Figur anfangs ruhig fließen und die Sätze als pures Sprachkonzert hin und her wandern. Auf dem als zerhackter Film eingespielten Rhein ziehen still die Wirtschaftswunder-Kohlenschlepper und Ausflugsdampfer flussabwärts. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Keetenheuve, ein sensibler Schöngeist mit Hang zu minderjährigen Mädchen, kulinarischen Genüssen und tiefsinnigen Gedichten von Baudelaire, fährt im Nibelungenexpress – die stählernen neuen Rheingold-Wirtschaftsriesen im Kopf und den noch unerkannten Verräter Hagen im Nacken – zu einer wichtigen Sitzung nach Bonn. Das Nazi-Regime hat er relativ unbeschadet mit kleinen roten Flecken im ansonsten sauberen Lebenslauf im Exil ausgesessen. Seine Kollegen haben sich die fetten braunen Flecken längst abgewaschen und streichen inzwischen auch den entnazifizierenden Widerstand aus ihrer offiziellen Biographie. Seine junge Gattin Elke, die an liebloser Vernachlässigung, lesbischen Eskapaden und Alkohol starb, hat er gerade beerdigt. Im Grunde schon desinteressiert an seinem zugunsten der politischen Karriere aufgegebenen Privatleben.
Wenn Maria Munkert kurzberockt auf ihrem Bürostuhl rotiert, Bettina Marugg mit einer Gartensprühflasche Kochplatten zum Dampfen bringt, Harald Redmer kühl Haltung bewahrt, Stefan Preiss bis zur Erschöpfung steppt und Tanja von Oertzen ihre Wut auf das ganze verlogene System mit ungeheurer narrativer Intensität zelebriert, erscheint hinter der scheinbar neutralen Erzählweise eine irrsinnige dramatische Sprengkraft. Auf die Bühnen füllend hereingefahrenen opaken Wände knallen sie von hinten kleine Albumfotos von Adenauer, Schumacher, Sissi und allen anderen Mythen der 50er Jahre, die von vorne groß werden als schauerliche historische Bildercollage.
Der atheistische Träumer Keetenheuve, der sich triebhaft im schwülen Bonner Gewächshaus passiv treiben lässt, seinen vorhersehbar medial vermasselten großen parlamentarischen Auftritt in den Sand setzt und seine komfortable Entsorgung auf einen Botschafterposten in Guatemala verweigert, hatte eine schöne Vision: Weltweiter Frieden. Wer auf die eine Backe haut, kriegt die andere gleich kostenlos serviert. Hat angesichts kapitaler Käuflichkeit jeder Überzeugung selbst nach deutlich zu viel genossenen Gläsern Ahr-Rotwein leider nicht geklappt. Abgang von der Kennedy-Brücke. Dem kleinen Polithansel Keetenheuve muss man keine Träne hinterherschicken, die Inszenierung des „Treibhauses“ aber trotzdem sehen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1¾ Std., keine Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellung: 23.11.08
Die Aufführung steht im Rahmen der Werkstattreihe „60 Jahre in 6 Wochen.

Dienstag, 10.03.2009

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