Das verlorene Tagebuch - kultur 48- Juni 2008

Skandälchen in Moskau - Das verlorene Tagebuch von Alexander Ostrowski im Kleinen Theater

Das turbulente Duett auf seiner amerikanischen Tour de Farce verschwand leider zwischen den kultur-Redaktionsterminen. Susann Fabiero und Martin Zuhr spielten in der Regie von Peter Nüesch im Kleinen Theater virtuos alle Figuren, die einem erfolgreichen Eheratgeber-Autor zwischen Hotelbett, Kleiderschrank, scheidungswilliger Gattin, versoffenem Senator, durchgeknallter Fernsehmoderatorin und versteckter Kamera die himmlische Zweisamkeit zur Hölle machen können.

Inzwischen ist das Kleine Theater im Moskau des 19. Jahrhunderts angekommen. TV-
Soaps, Blogging und Google waren damals natürlich noch Fremdwörter. Man schrieb Tagebücher auf Papier, was auf der Karriereleiter freilich auch nicht ganz ungefährlich war. Wie man Karriere macht, hat der russische Dramatiker Alexander Ostrowski (1823 – 1886) in seiner Heimatstadt Moskau mit scharfem Blick beobachtet. Korrupte Geschäftsleute, bornierte Bürokraten, skrupellose Aufsteiger und abgetakelte Gesellschaftsgrößen bevölkern das Typenarsenal seiner realistischen Satiren, mit denen er frischen Wind ins Theater seines Heimatlandes brachte.
Ein verlorenes oder gezielt geklautes Tagebuch mit privaten Notizen über all die öffentlich verschwiegenen Lügen, Dumm- oder Gemeinheiten der Zeitgenossen wird entweder ein Bestseller oder halt ein Reinfall. Ein durchaus tragbares Risiko, wenn man so wenig zu verlieren hat wie der junge Glumow in Ostrowskis 1868 uraufgeführter Komödie Das verlorene Tagebuch (Deutsche Erstaufführung erst 1940 in Madgeburg), besser bekannt unter dem Titel Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste. Glumows Kapital ist vielversprechend: Ebenso ansehnlich wie frei von Geld, Moral und aller für einen lukrativen Pos­ten erforderlichen Protektion, exakt so intelligent, dass er sich perfekt dumm und gnadenlos unterwürfig aufführen kann (was bekanntlich jedem wirklichen Dummkopf ungeheuer schmeichelt), spitze und käufliche Feder, gesellschaftlich noch ein unbeschriebenes Blatt. Marek Zedek spielt ihn sympathisch zwischen listigem Luftikus und ehrlichem Gesellschaftskritiker. Eine Braut mit guter Mitgift wäre ihm selbstverständlich ein paar lässliche Sünden wert und rückt auch in Gestalt der properen Maschenka (Sandra Lienhard) bald ins Visier. Deren Tante Turussina (Marion Minetti, die sich auch als Glumows cleveres Mamachen nützlich macht), eine bigotte, begüterte Witwe mit pikanter Vergangenheit, hält zwar die Hand über Maschenkas beträchtliches Vermögen, ist jedoch leicht um den Finger zu wickeln. Der dekorative Husarenoffizier Krutschajew (Lars Kalusky) ist bestenfalls ein Bauernopfer in Glumows genial eingefädeltem Spiel.
Ein paar Kopeken musste er schon investieren, um sich flugs einen leiblichen Onkel wie den alten Mamajew (Rainer Hannemann) zu verschaffen. Der plustert sich als weiser Lehrmeister seines hoffnungsvollen armen Verwandten auf. Schließlich hat er eine junge Gattin (reizend: Ivana Langmajer), die ohnehin schon mehr als einen Blick auf den attraktiven Neffen geworfen hat. Es bleibt also in der Familie. Kleopatra Mamajewa hat allerdings noch einige andere Eisen im Feuer, die sie für die Karriere ihres Schützlings fleißig schmiedet. Der war zwischenzeitlich nicht faul: Seinem konservativen Gönner Krutizkij (Egmont Stawinoga) hat er als Ghost-Writer ein Traktat über die Überflüssigkeit aller politischen Reformen geliefert. Sein reformeifriger Gönner Gorodulin (Holger Hanewacker) wartet schon auf die Formulierung des Gegenpamphlets. Dass der arbeitslose Schmierenjournalist Golutwin (Daniel Calladine, der regelmäßig in allen Szenen auch als Diener auftaucht) alle Winkelzüge Glumows beobachtet und aufgeschrieben hat und erpresserisch mit deren Veröffentlichung droht, lässt sich mit ein paar Rubeln erledigen. Glumow ist schließlich die Edelfeder, der kein an die Presse vermitteltes Tagebuch mehr etwas anhaben kann. Denn eins haben seine karikierten Opfer genau kapiert: Erst mit ein paar glänzend formulierten Skandälchen ist man was. Glumow wird also auch ohne Traumhochzeit ein gut bezahlter Medienstar.
Der Regisseur Christos Nicopoulos, künstlerischer Leiter des Kölner „Horizont-Theaters“, versucht glücklicherweise gar nicht erst, das Stück vordergründig zu aktualisieren. Auf der schlichten Bühne von Frank Joseph und in den hübschen historischen Kostümen von Sylvia Rüger parliert und korrumpiert man tapfer im Stil des Moskauer Salonbürgertums. Was leider ziemlich unentschieden zwischen Realismus und Groteske in gepflegter Langeweile mündet. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼Std. inkl. Pause
Im Programm bis: 18.06.08
Nächste Vorstellung: fast täglich

Donnerstag, 04.12.2008

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